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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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und ein paar Stunden später hungrig wie die Wölfe aufgewacht, sie hatten den Room Service angerufen, und er ließ sie reden – über den Überfall und Ibrahim und ihren Vater und ihre Brüder und ihre hoffnungslose Ungewißheit, ob sie Per nun liebte oder doch eher haßte. Aber als sie alles bis auf den letzten Krümel aufgegessen und ein drittes Mal miteinander geschlafen hatten, war von Haß nicht mehr viel zu merken.
    Das Telefon klingelte schon wieder.
    »Mr. Toftlund«, sagte eine Stimme. »Hier ist der Empfang. Bei mir stehen zwei Herren von der Polizei. Sie lassen höflichst anfragen, ob es Ihnen recht wäre, wenn sie kurz hochkommen dürften.«
    Toftlund setzte sich im Bett auf, suchte nach dem Schalter und knipste das Licht an. Dann schaute er auf den Radiowecker. Wenn er richtig ging, war es kurz nach acht.
    »Sagen Sie den Herren, ich komme runter.«
    Er hörte ein kurzes Getuschel auf italienisch, dann ertönte wieder die freundliche Hotelstimme: »Die Herren von der Polizei zögen es vor, Sie auf Ihrem Zimmer zu besuchen, Mr. Toftlund. Sie sagen, es sei diskreter. Einem Kollegen gegenüber, sagen sie.«
    »In Ordnung. Geben Sie mir eine Viertelstunde.«
    Wieder italienisches Getuschel.
    »Wir laden die Herren so lange zu einer Tasse Kaffee ein, also einverstanden, in einer Viertelstunde.«
    »Okay.«
    »Und noch etwas, Mr. Toftlund. Die Herren sähen es gerne, wenn Ihre Kollegin Aischa bint Hussein ebenfalls zur Stelle wäre. Wollen Sie sich darum kümmern, oder soll ich sie anrufen?«
    »Ich mach das schon. Und schicken Sie Kaffee und Orangensaft hoch.«
    »Zu Ihren Diensten, Mr. Toftlund.«
    Fick dich, dachte Toftlund. Du weißt doch genau, wo sie ist, du Heini. Aischa sah zu ihm hoch und lächelte. Er beugte sich über sie, legte die Hand auf ihre Brust und küßte sie. Sie umfaßte seinen Nacken und zog ihn zu sich herunter. Er machte sich frei.
    »Ab ins Badezimmer. In deins. Und zwar pronto! In fünfzehn Minuten ist die Polizei hier.«
    »Wieso?«
    Er sah, wie Nervosität und Furcht in ihre Augen zurückkehrten.
    »Einmal darfst du raten. Kleiner Tip: Es hat was mit gestern abend zu tun. Ab jetzt!«
    Die beiden Beamten in Zivil kamen mit dem Zimmerkellner und einem Wagen mit Kaffee und Fruchtsaft für vier Personen, samt Croissants, Butter und Marmelade in hübschen kleinen Schälchen. Toftlund hatte die Tagesdecke über das Bett geworfen, die Gardinen aufgezogen, das Fenster geöffnet und das gebrauchte Geschirr ihres Nachtmahls vor die Nachbartür gestellt. Es regnete in Venedig. Der Kanal vor seinem Fenster war voller kleiner Boote, aber die Insel mit der weißen Kirche draußen in der Lagune verschwamm im Regendunst. Das Licht war grau, als sähe man durch einen Wasserfall. Sogar die schwarzen Taschenverkäufer hatten aufgegeben. Die Promenade am Kanal war menschenleer mit Ausnahme weniger Touristen, die mit Hilfe farbenprächtiger Schirme dem Regen trotzten. Die Gondeln lagen Seite an Seite auf dem Kanal und schaukelten sanft und warteten auf Passagiere, die sich jedoch wohlweislich nicht nach draußen wagten.
    Die italienischen Kollegen stellten sich vor. Sie sprachen ein recht gutes Englisch. Sie waren von der italienischen Staatspolizei, nicht von der venezianischen Kripo. Mit militärischen Dienstgraden. Toftlund witterte förmlich den Sicherheits- und Nachrichtendienst. Der Ältere war Oberstleutnant, um die Fünfzig, mit schmalem, sonnengebräuntem Gesicht. Der andere Hauptmann, ein großer stiernackiger Kerl unbestimmten Alters, vielleicht zwischen 35 und 45 Jahren. Beide in tadellosem grauen Anzug mit Krawatte, aber mit zerfurchten Gesichtern und müden Augen. Sie sahen sich um und schauten mit leicht hochgezogenen, wissenden Brauen erst zu Aischa, die eine lange, khakifarbene Hose, eine helle Bluse und einen Pulli trug, und dann auf das frisch gemachte Bett. Sie saß auf dem Sofa, hatte sich aber erhoben, als die Beamten eintraten, und ihnen die Hand gereicht. Sie musterten sie von oben bis unten. Sie war geschminkt, die Kleidung saß. Alles comme il faut. Eine Frau bereit fürs Büro. Sie setzte sich wieder.
    Toftlund trug eine dunkle Hose, ein langärmliges Hemd und sein gutes Sakko. Er war froh, es eingepackt zu haben. Pers Zimmer war groß und mit zwei Sesseln, dem Sofa und einem runden, antiken Tisch eingerichtet. Er setzte sich, die beiden Italiener zogen es vor, stehen zu bleiben. Der Kellner servierte den Kaffee und verabschiedete sich mit einem Kopfnicken. Man konnte

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