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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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worüber Sie und Ihre Kollegin mit Ibrahim gesprochen haben. Anschließend durften sie Sie ausrauben, Ihre Assistentin vergewaltigen, Sie beide töten. So eine Art zusätzliche Prämie. Und noch einmal fünfhundert Euro, wenn sie die richtigen Informationen bekommen hätten.«
    Toftlund wuchtete sich aus seinem Sessel und trat ans Fenster. Seine Schnittwunde pochte. Szenen des Überfalls und der Nacht mit Aischa und das Geräusch der brechenden Nase tauchten in ihm auf. Der Regen ließ allmählich nach. Menschen erschienen auf der Straße, und die afrikanischen Nippeshändler zogen ihre bunten Plastiktaschen und billigen Uhren aus großen Stoffbeuteln hervor und legten sie aus.
    »Wer hat ihnen den Auftrag erteilt?« fragte Toftlund. »Oder wollen sie nicht reden?«
    »Oh doch, sie reden. Aber nur der Iraker scheint etwas zu wissen, und er ist ein bißchen konfus, immerhin hat er von einem jungen Mann gesprochen, gut gekleidet, Oberlippenbart, und der hat ihm gesagt, wenn sie sein Vertrauen mißbrauchen, erfährt es der Thronfolger.«
    »Der Thronfolger?«
    »Genau. Wali al-ahd. Für den wir uns alle interessieren, über den wir immer mehr hören und der den illegalen Flüchtling in unserm Gewahrsam offensichtlich in Todesangst versetzt hat. Denn er hat es bereits in derselben Sekunde bereut, in der er das Wort ausgesprochen hat. Aber wie gesagt, er ist ein bißchen konfus. Ich glaube, Sie haben ihm zu einem Schleudertrauma verholfen. Alle Achtung, verehrter Kollege, saubere Arbeit.«
    Toftlund zögerte und sagte dann: »Ich habe Ibrahim nach dem Thronfolger gefragt.«
    »Ja?«
    »Er hat nicht richtig geantwortet, aber indirekt hat er zugegeben, daß er existiert.«
    »Das hat er uns gegenüber auch.«
    »Das heißt, er war euer Mann?«
    »Das wäre zu einfach. Ibrahim war schon etwas Besonderes. Er war ein großer Brückenbauer zwischen Kulturen, die notgedrungen einen Weg finden müssen, wie sie zusammenleben können. Man wird ihn vermissen in dieser schwierigen Zeit. Er hat mit uns geredet, mit den Franzosen, den Russen, manchmal mit den Briten, aber nicht mit den Amerikanern. Die sah er als naive Kinder an, die nicht wissen, was für ein Unglück sie über die Welt bringen, weil sie felsenfest davon überzeugt sind, daß wir allesamt sein wollen wie sie.«
    Die Wunde machte sich wieder bemerkbar. Zu Hause mußte er sie gründlich desinfizieren und sich gegen Wundstarrkrampf impfen und vielleicht ein Antibiotikum verschreiben lassen. Er brauchte nichts weiter zu sagen. Es war doch sonnenklar: Ibrahim war ermordet worden, weil sie – wer auch immer das genau war – fürchteten, er könnte zuviel gesagt haben. Toftlund gegenüber. Oder wahrscheinlicher, den Italienern gegenüber. Aber daß er unmittelbar nach ihrem Besuch ermordet worden war, konnte kein Zufall sein. Vielleicht war das der Kopf des Nagels, dachte Toftlund, um Zeit zu gewinnen. Daß die Dänen auf der Jagd nach dem Terroristen mit den dänischen Verbindungen waren. Vielleicht hatten sie ihn vorher gefoltert? Als könnte Cornelli Gedanken lesen, sagte er: »Ja. Sie haben versucht, ihn zum Reden zu bringen, aber wenn Sie nun sagen, Herr Toftlund, daß er Ihnen nichts erzählt hat, dann hat er seinen Mördern vielleicht auch nichts gesagt.«
    »Ich habe ihn nicht dazu gezwungen.«
    »Im Gegensatz zu den Tätern. Aber die Rechtsmediziner sind der Meinung, daß Ibrahim nicht erdrosselt wurde. Oder besser gesagt, daß er schon tot war, als er erdrosselt wurde. Sein Herz machte nicht mehr mit. Und das ging wohl ziemlich schnell. Das wissen wir alles genauer, wenn die Obduktionsergebnisse vorliegen oder wenn wir die Täter gefaßt haben. Und das werden wir.«
    Toftlund war unwohl zumute, aber er versuchte, vernünftig zu sein und das nagende Schuldgefühl und die Empfindung, wieder einmal versagt zu haben, beiseite zu schieben. Er hatte seinen Job gemacht. Manchmal war es ein schmutziger Job, aber wenn man nicht daran glaubte, daß man ihn letzten Endes zum Besten der Gesellschaft tat, konnte man ihn gleich vergessen. Es war der fruchtlose Versuch, mit dem Vorfall rational umzugehen, denn er fühlte selbst, wie hohl es klang, wie eine falsche Stimme in seinem Bewußtsein. Wie wenn Vuldom ihren neuen Rekruten predigte, daß das Gesetz beachtet werden müsse, daß sie aber in dem einen oder anderen Fall bestimmt vor einem moralischen Dilemma stehen würden – wenn sie nämlich die Gesetze der Demokratie brechen müßten, um die Demokratie zu bewahren.
    Er

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