Der Feind im Spiegel
abreisten. Er schnitt seinen amerikanischen Paß, zwei der Kreditkarten und andere Papiere in Stücke und verteilte die durcheinandergemischten Fetzen auf vier Hotelumschläge. Er dachte noch an seine Fingerabdrücke im Zimmer, aber sie alle abzuwischen war unmöglich. Wenn er Glück hatte, würden sie das Zimmer sofort saubermachen, um es für einen neuen Gast vorzubereiten. Er handelte methodisch und schnell, aber seine Handflächen waren feucht. Er war nicht mehr so abgebrüht wie früher und mußte an Phil Markers Worte vor seiner Abreise aus Kauai denken: Ein Agent, der etwas zu verlieren hat, ist ein schlechter Agent, weil er anfängt, an den möglichen Verlust zu denken statt an das Ziel seines Auftrags.
Er ging in die Lobby, bat um die Rechnung und bestellte ein Taxi zum Flughafen. Dann benutzte er noch kurz das Internet im Business Center. Er ging auf die Homepage der Dänischen Staatsbahnen. Es war sommerlich warm, aber er schwitzte mehr als gewöhnlich. Er erwartete jeden Augenblick, daß das Hotel von Polizisten mit schußbereiten Waffen umstellt sein würde, aber alles war normal. Er erhielt seine Rechnung und bezahlte mit seiner American-Express-Karte, und als er aus der Tür trat, wünschte man Mr. Gibson noch einen schönen Tag und eine gute Reise. Auch die Fahrt nach Kastrup verlief normal. Am Flughafen bezahlte er den Taxifahrer in bar und ging mit seinem Koffer, seiner Computertasche und dem Aktenkoffer von Abfertigungshalle 2 das kurze Stück zu Halle 3 hinüber. Unterwegs hielt er Ausschau nach Abfallkörben, die ziemlich voll waren und bald geleert werden würden, und warf seine Umschläge in vier verschiedene Körbe. Die Halle war restlos überfüllt mit Urlaubsreisenden. Er folgte dem Menschenstrom die Treppe zum Bahnhof hinunter, wo er in den Zug zum Kopenhagener Hauptbahnhof stieg. Dort kaufte er eine Fahrkarte nach Hamburg. Er schloß sich in einer Toilette ein, nahm sein Schweizer Messer, öffnete die Schere, schnitt seine American-Express-Karte in Stücke und warf sie in drei verschiedene Mülleimer. Auch der Hauptbahnhof war schwarz von Menschen, die in den Urlaub fahren wollten.
Peter Madsen war nur einer unter vielen, die in den Zug nach Hamburg mit planmäßiger Abfahrt um 17.47 Uhr stiegen. Er fand einen Platz in der Ecke eines Abteils mit jungen Leuten, die aus drei europäischen Ländern kamen und mit einem Interrailticket unterwegs waren. Als die seeländische Landschaft in all ihrer sommerlichen Pracht an ihm vorüberglitt, atmete er schon ein wenig freier. Als der Zug auf die Fähre nach Fehmarn rangiert worden war, gingen die Jugendlichen und die anderen Passagiere gleich nach oben. Vuk folgte ihnen langsam. Er war im Bauch des Schiffes mit dem stillen Zug allein, und niemand beobachtete, wie er, als die dänische Küste im wundersamen Sommerabendlicht in immer weitere Ferne rückte, seine schwarze Computertasche über die Reling beförderte und in das phosphoreszierende Kielwasser fallen ließ. Ron Gibson hatte aufgehört zu existieren. Die elektronischen Spuren, die er hinterlassen hatte, würden die Ermittler ins Nichts führen.
Als Urlauber Peter Madsen bestellte er in der Cafeteria auf dänisch ein Bier und entspannte sich. Die vielen Reisenden würdigten ihn keines Blickes. Europa war voll von Touristen, und er begann, daran zu glauben, daß man ihn für einen von ihnen halten würde.
23
Einige Tage zuvor hatte Lise Carlsen mit einem Glas Wein auf ihrer Terrasse in Ganløse gesessen, um die Abendsonne zu genießen. Sie erwartete Per und Freya. Zum erstenmal hatte Per seine Tochter das ganze Wochenende über gehabt, ab Freitag nachmittag schon. Es war schön, daß er wieder etwas mehr Zeit hatte. Schön für ihn und Freya, eine Weile in Ruhe zusammensein zu können. Und schön für sie, ein Wochenende für sich zu haben, auch wenn Niels am Sonnabend mittag zu ihr gekommen war und bei ihr übernachtet hatte. Vor einer Stunde hatte sie ihn nach Hause geschickt. Nach einem schnellen Teller Pasta. Er hatte protestiert, aber sie sah sich noch nicht imstande, ihren Geliebten ihrem Exmann vorzustellen. Zumal Per gar nicht so richtig ihr Ex war, denn sie waren ja nicht geschieden. Sie gönnten sich eine Pause, wie sie sich selbst und den Kollegen gegenüber betonte, die neugierige Fragen stellten. Eine Pause in gegenseitigem Einvernehmen. Das stimmte zwar nicht ganz, aber zumindest versuchten sie, dem Kind gegenüber das Gesicht zu wahren, und tatsächlich hatten sie Freyas
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