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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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beirren.
    »Richtig heilig. Betet fünfmal am Tag, trinkt kein Bier und keinen Arrak mehr, fastet und verlangt von seiner Frau, daß sie sich vom Kopf bis zu den Füßen einhüllt. Hackt dauernd auf Fatima rum, weil sie mit mir befreundet ist. Ich bin ihm nicht anständig genug. Verhülle mich nicht genug. Der Mann ist ein Heiliger, Fatima, was sonst?«
    »Ich glaube, das interessiert Janos nicht besonders.«
    Vuk hatte keine Zeit zu versichern, daß ihn das durchaus interessierte, denn Nilüfer war gar nicht mehr zu bremsen.
    »Mustafa ist fromm geworden und war in Afghanistan und an allen möglichen Orten. Das ist doch kein Geheimnis. Oder, Fatima? Das ist doch kein Geheimnis.«
    Fatima schien pikiert und etwas beleidigt zu sein. Sie sah aus, als wollte sie das Thema wechseln, so daß Vuk schnell einschob: »Also, ich fand deinen Bruder immer in Ordnung.«
    Fatima lächelte.
    »Ist er auch immer noch. Nilüfer übertreibt total. Mustafa ist nach Spanien gezogen …«
    »Ach, ja?«
    »Ja. Wir sind ja inzwischen dänische Staatsbürger. Seit unserm achtzehnten Lebensjahr. Meine Eltern nicht, aber wir, wir sind EU-Bürger. Und wenn er von seinen Reisen nach Hause kam, hat Mustafa immer gesagt, in Kopenhagen ist die Konkurrenz zu groß. Es gibt schon zu viele Pizzerien, hat er gesagt. Also hat er eine in Spanien aufgemacht.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, in einer Stadt, die Cuenca oder so heißt. Er hat seine Pizzeria Izmir genannt. Sie läuft toll, und mein Vater ist ordentlich stolz auf ihn. Mein Großvater kommt aus Izmir. Und dann hat Mustafa zwei Söhne bekommen. Alles ist also in bester Ordnung.«
    »Das freut mich riesig, Fatima, wirklich.«
    »Aber fromm ist er immer noch«, sagte Nilüfer und fragte, ob sie nicht noch einen Kaffee bestellen sollten. Und ein Stückchen Kuchen, und ob sie nicht über etwas anderes reden könnten, und Vuk und Fatima sahen sich an, als wären sie die ältere Generation, die nachsichtig mit den Jüngeren sein mußte. Aber Vuk beherrschte sich. Statt zu gehen, weil er sein Ziel erreicht hatte, holte er noch dreimal Kaffee und Kuchen und brachte sie wieder zum Lachen mit seinen erfundenen Geschichten aus einem erfundenen Leben in Aalborg. Er war sich durchaus bewußt, daß er hier den Charmeur gab, denn das war ein Teil seiner Rolle, andererseits hatten sie wirklich Spaß miteinander, und er merkte, daß er darüber ganz die eigentlichen Umstände vergaß. Er genoß es einfach, hier mit seiner alten Klassenkameradin zusammenzusitzen, denn sie hatten sich eigentlich immer sehr gemocht. Zwar waren seine Geschichten erfunden, aber das waren so viele Geschichten, wenn sich alte Bekannte über den Weg liefen, und das änderte ja auch nichts an der Tatsache, daß ihr Kaffeeklatsch richtig gemütlich war. Darüber waren sich die drei am Ende alle einig.
    Vuk stand auf der abwärts fahrenden Rolltreppe zwischen der zweiten und der ersten Etage. Seine Euphorie über die in jeder Hinsicht erfolgreiche Verabredung war schlagartig verflogen: Auf der gegenüberliegenden Rolltreppe stand eine blonde Frau und fuhr ihm entgegen. Er wußte auf der Stelle, wer sie war. Er würde es nie vergessen. Das wäre aber im Grunde egal gewesen, wenn er nicht diesen Ausdruck in ihren Augen bemerkt hätte, dieses Nein, aber das ist doch nicht möglich. Ich sehe Gespenster. Es handelte sich um höchstens drei, vier Sekunden. Länger konnte man sich auf der Rolltreppe nicht ins Gesicht sehen. Wenn er ihr nicht genau in diesem Moment den Kopf zugedreht hätte, wäre es nicht passiert. Aber er hatte es getan. Und er merkte, wie sie begriff, daß das Leben ihr nicht etwa einen Streich spielte, sondern daß ihr da tatsächlich gerade ein Wesen aus der Vergangenheit entgegenfuhr. Er sah, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich und wie sie sich am Geländer abstützen mußte und wie sie schwankte, aber da war er schon unten angekommen. Er zog das Handy aus der Tasche, schaltete es ein und wählte Mikes Nummer. Er trat auf die Straße, hörte Mikes Ja? und sagte schnell: »Man hat mich erkannt. Fahr nach Spanien. Ich kontaktiere dich dann unter deiner neuen Adresse.«
    Er unterbrach das Gespräch, schaltete das Telefon aus, entfernte die Batterie und nahm die SIM-Karte heraus. Er machte einige Schritte, tat, als wollte er sich die Schnürsenkel binden, und ließ die Karte in einem Gulli verschwinden. Das Auschecken im Hotel dauerte nur ein paar Sekunden. Das Hotel war daran gewöhnt, daß Geschäftsleute ohne Vorwarnung

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