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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Freundschaft anzuknüpfen. Er hatte Angst, wieder zu versagen, so wie er bei John versagt hatte und schuld an seinem Tod gewesen war.
    »Hei. Per . Was machst du denn gerade?« Gislevs Stimme war hell, er sprach mit dem leicht jütländischen Dialekt seiner Heimatstadt Silkeborg.
    »Ich tanze mit meiner Tochter.«
    Gislev lachte, aber sein Lachen hörte sich etwas gezwungen an.
    »Du solltest lieber den Fernseher einschalten.«
    »Meine Tochter will lieber tanzen, du.«
    »Schalte den Kasten an. Dann brauche ich nicht zu erklären, warum du auf der Stelle erscheinen sollst. Befehl von Vuldom. Wir treten alle an.«
    »Worum geht’s, zum Teufel?«
    »Mach CNN an. Ich muß noch andere anrufen. Ich bin hier in einem Irrenhaus. Over and out. «
    »Brian …« Er hörte nur noch Tuten.
    »Noch mehr tanzen, Papa.« Sie zog ihn am Hosenbein.
    »Ich muß mal eben den Fernseher anmachen.« Die Fernbedienung lag auf dem kleinen Couchtisch. Er schaltete CNN an und sah die irreale Szene eines weißen Passagierflugzeugs, das geradewegs in einen der beiden Türme des World Trade Centers in New York City hineinflog. Er stand da und gaffte, es schien eine Ewigkeit zu dauern, die Szene wurde ständig wiederholt, er las die Wörter » America under attack « . Die erstaunlich ruhige Stimme des Sprechers stieg um eine Oktave, als sie beide, der Journalist in New York und Toftlund in seinem Wohnzimmer in Ganløse, in derselben unwirklichen Sekunde sahen, wie ein zweites Flugzeug in den anderen Turm krachte und in einer Wolke aus Feuer und Rauch explodierte.
    » Shit! «sagte er bloß. » Shit. Verfluchter Mist!«
    »Was ist denn, Papa? Ist das ein Film? Einer, den ich nicht gucken darf?«
    »Ja, Schätzchen. Das ist einfach nur ein dummer Film.«
    »Dann mach aus.«
    »Ja, das tu ich auch. Aber du mußt zu Mama.«
    »Warum denn?«
    »Weil Papa arbeiten muß.«
    »Na, gut«, sagte sie unbekümmert; glücklicherweise sind Kinder noch offen für die überraschenden Wendungen des Lebens.
    Er erreichte Lise beim ersten Klingeln.
    »Hast du den Fernseher an?« fragte er.
    »Alle haben den Fernseher an. Ist das nicht schrecklich? Und unwirklich?«
    »Doch. Wie in einem schlechten Film. Nur, daß kein Bruce Willis kommt und uns rettet.«
    »Wie geht’s dir?« fragte sie. Im Hintergrund hörte er dasselbe Fernsehprogramm, das er selbst gerade sah. Die Frage überraschte ihn. Diesen sanften, sinnlichen Tonfall, den er so liebte, hatte er schon lange nicht mehr gehört.
    »Gut.«
    »Und Freya?«
    »Wir haben getanzt.«
    Sie lachte.
    »Dann geht’s ihr auch gut!«
    »Ich muß sie dir bringen …«
    »Du hast doch deinen freien Tag.« Ihre Stimme wurde mit einemmal kühl und geschäftsmäßig.
    »Oder du kommst nach Hause.«
    »Wir sind alle in der Redaktion. Das ist eine unglaubliche Story. Das kannst du dir doch denken. Tagesen hat alle herbestellt.«
    »Ich bringe dir Freya. Ich muß zum Dienst. Befehl.«
    »Und deine Arbeit ist natürlich wichtiger als meine.«
    »In genau diesem Fall tatsächlich. Da ist meine Arbeit wichtiger als deine.«
    »Ich kann hier nicht weg, Per!« Er sah sie vor sich, wie sie mit ihren blonden Haaren und ihrem schönen sinnlichen Mund kerzengerade vor ihrem Rechner in der Kulturredaktion von Politiken saß, umgeben von Zeitungen, Büchern und Magazinen und vielleicht mit der Zigarette zwischen den Fingern, von der sie wieder abhängig geworden war.
    »Dann muß sich deine Mutter um sie kümmern! Ich bin in zwanzig Minuten da. Wir treffen uns in der Eingangshalle.«
    »Verflucht noch mal, es läßt sich echt nicht überhören, daß du beim Militär warst.«
    »In einer Viertelstunde, Lise!« Sie konnte noch den Hörer auf die Gabel knallen, bevor er auflegte.
    Er brauchte länger, weil sich Freya plötzlich auf die Hinterbeine stellte und extra für ihre Mutter ein neues Kleid anziehen wollte. Da wollte er nicht mitmachen, war aber zugleich außerstande, ihr deswegen böse zu sein. Dann mußte sie Pipi machen. Sie war sehr stolz, daß sie so gut wie trocken war. Aber mit dem Blaulicht auf seinem erst kürzlich erstandenen BMW schaffte er es in einer halben Stunde. Es war unverantwortlich, mit dem Kind durch den strömenden Regen zu rasen, aber das Adrenalin pumpte in seinem Körper, rücksichtslos drängelte er sich durch den Verkehr, und als er schließlich vor dem Zeitungsgebäude von Politiken am Rathausplatz hielt, ließ er das Blaulicht weiterblinken und den Motor laufen.
    Lise stand hinter der Drehtür in der

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