Der Feind im Spiegel
den Haufen, mit denen wir bis jetzt gearbeitet haben. Wenn es nicht schon vorher eingetreten ist, so ist dies das endgültige Ende des Kalten Krieges. Neue Zeiten, neue Gefahren. Heute morgen bin ich aufgestanden und habe noch mit Interesse die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Norwegen verfolgt, aber seit heute nachmittag um zehn nach drei haben sich die Prioritäten radikal verschoben. Vielleicht ist es ein Klischee, aber ab heute ist die Welt nicht mehr dieselbe und wird es nie mehr sein.«
»Okay. Was ist meine Aufgabe? Wo soll ich eingesetzt werden?«
Sie lächelte.
»Wie schon gesagt: neue Zeiten, neue Gefahren. Ich habe eine ganz andere Aufgabe für dich – eine, die etwas weiter in die Zukunft greift. Ich muß gleich ins Staatsministerium und den Sicherheitsausschuß informieren, das bedeutet also take it or leave it, Per.«
Er sah sich im Raum um, einerseits gespannt, andererseits ein bißchen verärgert. Sollte ausgerechnet er nicht an der hektischen Aktivität teilnehmen, die hier und jetzt herrschte? Vuldoms Büro war spartanisch eingerichtet, das paßte zu ihr. Mit klassischen dänischen Regierungsmöbeln und einigen ihrer eigenen hübsch abstrakten Gemälde an der Wand. Der auffälligste Einrichtungsgegenstand war ein großer weißer Geldschrank. Hier lagen die geheimsten Akten des Reichs fest unter Verschluß, Das Regal hinter ihr war mit Fachliteratur über Spionage und die Geheimdienste der Welt angefüllt. Einsichten in den allgegenwärtigen Krieg an der unsichtbaren Front.
»Okay«, sagte er bloß.
Sie lehnte sich wieder zurück.
»Ich möchte, daß du eine neue Einsatzgruppe leitest. Innerhalb eines angemessenen Rahmens bekommst du alle Mittel, die du brauchst, aber ich schlage vor, die Gruppe selbst bleibt klein und übersichtlich. Du sollst die neue Bedrohung untersuchen und analysieren, was sie für Dänemark und unsere Bereitschaftstruppen bedeutet. Al-Qaida hätten wir offenbar etwas ernster nehmen müssen. Das ist ein Terrornetzwerk, das seine Mitglieder anscheinend aus den islamistischen Kreisen auf der ganzen Welt rekrutiert. Wer sind sie? Was wollen sie? Operieren sie hier im Lande? Laufen ihre finanziellen Transaktionen auch über dänische Kanäle?«
»Ich weiß eigentlich gar nichts über den Islam oder die arabischen Länder.«
»Nein, Per. Wir wissen alle nichts. Wir haben Experten zuhauf für Polnisch und Russisch und für linksradikale Gruppen und Baader-Meinhof und was weiß ich nicht alles, aber über diesen Bereich wissen wir so gut wie gar nichts.
Herrgott, das Verteidigungsministerium hat die Arabischausbildung ihrer Sprachoffiziere 1997 abgeschafft. Aber ich glaube, die wird wieder eingeführt werden. Ich glaube, ab heute ändern sich die Prioritäten. Ich glaube, das bedeutet schärfere Gesetze und für uns großzügigere Budgets. Das wird unseren Alltag verändern.«
»Ich möchte gerne Gislev dabeihaben.«
»In Ordnung.«
»Und Carlsen, Jørgensen und Frede Skovgård und …«
»Die Liste kannst du mir später geben. Aber sieh zu, daß sie überschaubar bleibt. Du kannst auch welche aus den anderen Abteilungen dazuholen. Was ist mit Bastrup?«
Per haßte sich selbst dafür, aber er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg, und der scharfsichtigen Vuldom entging nur sehr wenig. Für ihre unschlagbaren Vernehmungsmethoden war sie ebenso bekannt wie für ihre Zurückhaltung in privaten und politischen Angelegenheiten. Sie konnte die Körpersprache ihres Gegenübers lesen, als wären es gesprochene Worte, und Verstellung und Lüge durchschaute sie sofort. Seine Affäre mit Charlotte Bastrup war heiß und leidenschaftlich, aber von kurzer Dauer gewesen und erst vor einem Monat von Charlotte ebenso selbstsicher beendet worden, wie sie sie angefangen hatte. Er verspürte absolut keine Lust, es zuzugeben, aber er wußte genau, daß er nicht ihr einziger Liebhaber gewesen war. Zu keiner Zeit.
»Charlotte … Hhm, ich weiß nicht recht«, sagte er und merkte, wie sich die Unsicherheit in seiner Stimme niederschlug.
»Wir befinden uns in einer Situation, in der persönliche Gefühle keine Rolle spielen dürfen.«
»Was willst du denn damit sagen?«
»Du weißt schon, was ich meine, aber das ist auch egal. Sie ist gut und effektiv, sowohl als Ermittlerin als auch als Administratorin. Außerdem kann sie eigenständig denken.«
Vuldom machte kein Hehl daraus, daß sie es als eine ihrer Aufgaben ansah, Frauen, und gerne jüngeren Frauen, karrieremäßig auf die
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