Der Feind im Spiegel
Einsatz in der Energieverwaltung, dann im Energieministerium und schließlich in dem Ministerium, das früher mal Landwirtschaftsministerium hieß. Ihre Karriere in der staatlichen Verwaltung ähnelte der aller anderen jüngeren Kandidaten. Er hatte festgestellt, daß sie sich sowohl im Außen- als auch im Verteidigungsministerium beworben hatte, beides vergeblich. Es war aus der Sicht dieser verstaubten Institutionen wahrscheinlich einfach noch zu früh gewesen. Denn ihre Qualifikationen waren in Ordnung. Auch ihre Kleidung hatte ihn überrascht. Jeans, helle Bluse über einem T-Shirt und praktische, flache Schuhe. Etwas zuviel Make-up für seinen Geschmack. Sie duftete auch etwas zu würzig. Lise hätte wahrscheinlich gesagt, er müsse wohl noch ein bißchen an seinen Vorurteilen arbeiten, und ihm daraufhin eine kleinere Moralpredigt über die Segnungen der multikulturellen Gesellschaft gehalten, aber da er eh fast nie zu Hause war und sie sowieso nicht miteinander redeten, wenn er mal kam, um sich umzuziehen, war ihm das Lied von den schönen warmen Ländern erspart geblieben. Was ihn eigentlich nicht freute. Im Gegenteil, er empfand die häusliche Situation als ziemlich große Belastung.
Er betrachtete seine Gruppe. Sie bestand aus sehr unterschiedlichen Charakteren, aber gemeinsam könnten sie eine sinnvolle Einheit bilden, wenn er sie dazu brachte zusammenzuspielen. Einige von ihnen hatte er sich gewünscht, aber letztlich war es doch Vuldom gewesen, die die Fäden gezogen und die Mitglieder des kleinen PND-Satelliten, der nun von einem Haus in Brønshøj aus in Aktion trat, ausgewählt hatte. Was ihn nicht weiter überraschte.
»Ich werde dafür bezahlt, den Überblick zu haben, Toftlund«, so hatte sie sich ausgedrückt. »Wenn du nicht die bekommen kannst, die du liebst, dann mußt du lernen, die zu lieben, die du bekommst.«
Immerhin hatte er Brian Gislev bekommen, der vielleicht unerfahren war, aber energisch und von dem Wunsch beseelt, ein vollgültiges Mitglied dieses Geheimbundes zu werden. In seinen schicken Jeans, mit dem offenstehenden Hemd und der Dienstpistole im Schulterholster sah er mit seinem vom Golfspielen gebräunten Gesicht aus wie ein glücklicher Kerl. Neben ihm saß die schöne Charlotte Bastrup mit den dunklen, verführerischen Augen, die leidenschaftlich blitzen konnten, im allgemeinen aber kühl und berechnend waren. Da war das unbeschriebene Blatt Aischa, zu der Charlotte viel hinübergeschielt hatte. Er war nicht darüber erfreut, daß Charlotte dabei war, obwohl ihr Verhältnis beendet war. Aber sie konnte mit dem Computer umgehen und kannte alle Möglichkeiten, die das Internet bot. Der Cyberspace war zwar ein Mülleimer, aber auch eine Quelle für allerlei nützliches Wissen. Tove Seir war 54, ziemlich korpulent, mit einem breiten Mund und einem heiseren, maskulinen Lachen. Sie war die Mutter der Kompanie, die mit gezücktem Kugelschreiber und Stenoblock schon kampfbereit dasaß und bei allem, was mit Papieren, Besprechungen, angesammelten Überstunden und Gehaltsabrechnungen zu tun hatte, gnadenlos den Überblick behielt. Außerdem überwachte sie die verwickelten Wege von Gerüchten und Tratschereien aus dem Hauptquartier in Bellahøj, damit sie immer auf dem laufenden waren, was die interne Politik des Hauses anging. Sie trug Hosen, obwohl sie ihr nicht standen, aber sie gab sich schon lange keine Mühe mehr, ihren unförmigen Körper zu verbergen. Frede Skovgård war ein solider Bulle und sah auch so aus: Schnauzer, biederes Jackett und Bügelfalten. Toftlund konnte sich auf ihn verlassen. Er war nicht der Schnellsten einer, dafür aber sorgfältig und konsequent, hatte eine unendliche Geduld, wenn es um Details ging und verfügte über ein unübertreffliches Netz von Informanten im Unterweltmilieu. Ginge man auf der Straße an ihm vorbei, würde man ihn gar nicht bemerken. Er war vertrauenerweckend und hielt sein Wort, und zwar egal, ob er es Kollegen oder Kriminellen gegeben hatte.
Schließlich hatte Vuldom ihm Jørgen Bjerregaard, genannt JB, aufs Auge gedrückt. Den Erbsenzähler sah man ihm sofort an, immer dieselbe Tweedjacke, derselbe Schlips, die gleichen hellen Oberhemden, und mit seinen breiten Gesundheitsschuhen war er vor sechzig Jahren vermutlich schon auf die Welt gekommen. Aber Toftlund wußte natürlich, warum ihm der alte Agentenjäger und Spürhund zugeteilt worden war. JB hatte ein fotografisches Gedächtnis. Es gab nicht einen marxistischen Revoluzzer,
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