Der Feind im Spiegel
der nicht hinter seiner hohen, glatten Stirn über dem länglichen Pferdegesicht gespeichert war. Im Unterschied zur Festplatte eines Rechners gab es keine Korrekturtaste, die sein Wissen löschen konnte. Die Modernisierung des PND hielt er für einen größeren Angriff auf die Sicherheit des Landes als alle Aktivitäten der früheren Dänischen Kommunistischen Partei zusammen. Die angestrebte Transparenz in geheimdienstlichen Dingen war in seinen Augen eine Idiotie, auf die eben nur Journalisten und Politiker verfallen konnten. Der parlamentarische Kontrollausschuß war ein Werk des Kremls. Frauen auf Chefposten waren nur ein weiteres Beispiel dafür, daß die Welt aus den Fugen geraten war. Daß legale politische Aktivitäten nicht beobachtet und festgehalten werden durften, war reine Sabotage an der Pflicht des PND, die Verfassung zu verteidigen. Woher sollte man denn bitte wissen, ob eine Aktivität legal war oder nicht, wenn man sie nicht beobachten durfte? Das Einstampfen von Archiven und Karteien war für ihn ein weiterer Beweis dafür, daß Dänemark von dunklen Kräften bedroht war. Hinter vorgehaltener Hand wurde auch gemunkelt, daß er die wichtigsten Akten gesetzwidrig kopiert und in seinem Haus in Ballerup bei Frau Bjerregaard verstaut habe, die ihren Mann in seinem einsamen, heroischen Kampf gegen Umstürzler seit über dreißig Jahren uneigennützig unterstützte. Toftlund glaubte nicht daran. Eine derart eklatante Gesetzwidrigkeit würde sich Bjerregaard nicht zuschulden kommen lassen. Er glaubte eher JBs eigener Erklärung, wenn der sich mit seinem langen Zeigefinger an den Schädel tippte, was schlicht bedeuten sollte: Hier ist es, und hier bleibt es, denn ich vergesse nichts. Er war reaktionär, unbequem und stur, aber wenn es darum ging, ein Bild der neuen heiligen Krieger in Dänemark zu entwerfen, war seine Fähigkeit, Verbindungen und Übereinstimmungen zu erkennen, Gold wert.
Eins war Toftlund allerdings klar: Zwischen JB und Aischa Hussein würde es irgendwann krachen. Schon wie JB ihr am Tisch den Rücken zugekehrt hatte, ließ tief blicken. Freilich war sie clever genug gewesen, ihn zu durchschauen, und hatte ihm wie allen anderen auch mit einem netten Lächeln die Hand gereicht. Gislev war wahrscheinlich gleich in sie verknallt, Frede verbarg seine Überraschung, so gut es ging, während Tove die Neue sicher mit all der mütterlichen Fürsorge überhäufen würde, die ihr nun mal eigen war.
Toftlund schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, trank einen Schluck und begann mit dem Ritual, das die kleine neue PND-Einheit hoffentlich auf einen fruchtbaren Weg führen würde.
»Ich hoffe, ihr habt euch artig von eurer Familie verabschiedet. Ihr werdet sie nämlich in der kommenden Zeit nicht allzuoft zu sehen kriegen. Die Aufgabe ist klar. Wir sollen so schnell wie möglich die neue islamistische Bedrohung identifizieren, falls es sie denn gibt. Mit Hilfe zugänglicher Quellen und unter Einsatz aller Mittel, natürlich im Rahmen der Verfassung – aber die wird momentan sehr freizügig definiert, Freunde – gilt es, mögliche Terroristen, die sich auf dänischem Boden befinden, zu entdecken, zu entlarven und möglichst festzunehmen und der Justiz zuzuführen. Und zwar bis gestern! Also seid kreativ. Mit allem, was euch zur Verfügung steht: V-Leuten, Infiltrationen, Abhören, Datenbanken, Milieukontakten. Nutzt Charlottes Fähigkeiten am Computer. Berichte bitte direkt an mich, ich berichte dann direkt an Vuldom weiter. Unsere Arbeit hat höchste Priorität. Wir sind eine kleine Gruppe, aber wir können die Reichspolizei in Anspruch nehmen, die Spionageabwehr und alle übrigen Organe, über die Dänemark verfügt. Wir bekommen in Zukunft mehr Geld, das kann ich euch versprechen. Das gilt für den PND und den Militärischen Abschirmdienst. Schluß mit den Einsparungen. Außerdem erhalten wir weitere Mitarbeiter. Aischa hier ist ein Beispiel dafür, wie schnell das jetzt geht.«
Bjerregaard lehnte sich über den Tisch.
»Ist für die da ein Gebetsraum eingerichtet worden, oder müssen wir dabei zugucken, wenn sie fünfmal am Tag ihren Kopf auf den Teppich knallt?«
Mit einemmal verstand Toftlund den Sinn der Redewendung: Ein Engel geht durch den Raum. Das Schweigen dauerte nur einige Sekunden, aber es fühlte sich an, als wären es ein oder zwei Minuten gewesen. Wie eine plötzliche unfreiwillige Pause im Rundfunk. Daß Toftlund den Gedanken selbst gedacht hatte, war dann doch etwas ganz
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