Der Feind im Spiegel
Aischa sage ich dir heute abend Bescheid. Und zieh hier Leine, so schnell es geht. Nimm die Villa in Brønshøj. Ich habe schon veranlaßt, daß dort alles vorbereitet wird. Ich will nicht, daß du in diesem Chaos arbeiten mußt und zwischen den ganzen Presseleuten, die uns hier belagern.«
Toftlund stand auf. Die große alte Villa in Brønshøj war eines von mehreren safehouses, über die der PND verfügte. Während des kalten Krieges hatten sie Überläufer darin beherbergt. Heutzutage nutzte man sie eher als diskrete Arbeitsplätze für Kerngruppen mit besonderen Aufgaben. Die Villa in Brønshøj war mit Breitbandkabel und abhörsicheren Telefonen ausgestattet und wurde regelmäßig vom elektronischen Sicherheitsdienst des PND überprüft. Ein pensionierter PND-Mitarbeiter und seine Frau kümmerten sich um die Verpflegung und um die Reinigung des Hauses, zugleich waren sie das Alibi für die EDV-Firma mit Schwerpunkt Datensicherheit, die hier offiziell residierte und Wert darauf legte, nicht für Privatleute, sondern ausschließlich für Unternehmen zu arbeiten, die ihre Computersysteme vor dem unerlaubten Eindringen von Hackern schützen wollten. Das erklärte auch das gelegentliche Kommen und Gehen, wenn vorübergehend eine geheime Sondergruppe innerhalb des ohnehin schon geheimen Dienstes eingerichtet wurde. Dabei konnte es sich um eine spezifische Ermittlung oder einen besonderen Abhör- und Überwachungsauftrag handeln. Plötzlich freute er sich auf die Aufgabe.
Vuldom stand auf und gab ihm überraschenderweise die Hand. Ihr Händedruck war fest und trocken. Sie lächelte.
»Danke, Per.«
»Keine Ursache«, sagte er verblüfft. »Das ist doch mein Job.«
Er ist ein bißchen kräftiger geworden, dachte Vuldom, und sieht nicht mehr jünger aus, als er ist, aber sein geschmeidiger Körper strahlt nach wie vor Aggressivität aus, und daß er früher mal Angehöriger einer Sondereinheit war, sieht man ihm auch noch an. Bevor er bei der Polizei anfing, war Toftlund Froschmann gewesen. Er hatte die Vierzig überschritten, und das kurzgeschnittene Haar war ein wenig lichter geworden.
Er ließ ihre Hand los.
»Und, Per …«
»Ja?«
»Ich bin außerordentlich froh, daß du die Gruppe leiten wirst. Und umsonst soll es auch nicht sein. Du wirst Kriminaldirektor, höherer Dienstgrad, höheres Gehalt. Ich gehe nicht davon aus, daß der Reichspolizeichef größere Probleme damit haben wird, das Papier zu unterschreiben.«
»Im Augenblick unterschreibt er wahrscheinlich alles.«
»Vielleicht.«
Sie schaute ihm in die Augen. »Und rechne nicht damit, daß du in den kommenden Wochen allzuviel Zeit mit deiner netten Frau und deinem kleinen Töchterchen verbringen wirst.«
»Nein. Das liegt auf der Hand.«
»Ist das ein Problem?«
»Nein. Das ist kein Problem«, sagte er, aber er konnte selbst hören, wie wenig überzeugend es klang.
6
Toftlund brauchte nur drei Tage, um seine neue Ermittlungsgruppe zusammenzustellen, aber bereits am Morgen des vierten Tages des Jahres Null, als er seine Truppe zum erstenmal versammelt hatte, saß Aischa Hussein mit dabei. Vuldoms Werben hatte Erfolg gehabt. Ihre Verführungstechnik bei der Rekrutierung von Agenten war legendär. In einem kurzen Telefongespräch hatte sie Toftlund mitgeteilt, daß die junge Dame mehr als willig sei, ihrem neuen Vaterland zu dienen, und daß sie hoffe und glaube, der Job werde die erwarteten Herausforderungen mit sich bringen – und Spannung. Vuldom hatte es keine Mühe gekostet, sie von ihrem bisherigen Job loszueisen. Zur Zeit wirkte das Wort »Terrorabwehr« wie ein modernes »Sesam-öffne-dich«: Es öffnete alle Türen. Vuldom hatte sie zu einem eintägigen Intensivkurs über Sicherheitsbestimmungen und Geheimhaltungsstufen geschickt. Das war natürlich viel zu kurz und oberflächlich, aber in dieser Situation nun mal nicht anders zu machen. »Du mußt ihr das Handwerk eben unterwegs beibringen, Toftlund«, hatte eine zunehmend gestreßte Vuldom gesagt.
Toftlund hatte die etwas andere Novizin kurz begrüßt, und sie hatte ihn mit ihrem festen Händedruck, ihrem freundlichen Lächeln und ihrem offenen Blick überrascht. Was hatte er erwartet? Ein scheues Wesen, verschleiert, drei Schritte hinter dem Mann hergehend? Er hatte doch ihr Dossier gelesen und kannte ihren Lebenslauf. Angenehmer Charakter, Diplomarbeit über das Thema Euroislam und Demokratie und darüber hinaus eine Abhandlung über Aufstieg und Fall der arabischen Nationen.
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