Der Feind im Spiegel
anderes, als ihn laut auszusprechen.
»Meine Fresse, bist du bescheuert, JB!« Gislev war der erste, der seine Stimme wiederfand.
»Jørgen. So was sagt man nicht.« Tove Seir war die zweite.
»Also manchmal bist du wirklich unmöglich.« Bastrup war Nummer drei. Skovgård war perplex. Auch Toftlund hatte Bjerregaards Frage kalt erwischt, er dachte nur, das fängt ja super an. Jetzt ist meine Autorität gefragt. Sonst geht das Ganze den Bach runter, bevor wir überhaupt angefangen haben.
Aischas Stimme zitterte nicht und klang auch nicht wütend, als sie sich an JB wandte und in klarem Dänisch fragte: »Glaubst du an Gott, Jørgen Bjerregaard?«
JB sah sie verblüfft an.
»Komische Frage.«
»Das finden die Dänen, ich weiß, aber du hast ja eben gesagt, ich täte es. Dann kann ich dich ja wohl auch fragen.«
»Ich bin Mitglied der Volkskirche.«
»Bist du getauft?«
»Na, und ob ich getauft bin und konfirmiert und kirchlich getraut. Willst du noch mehr über mein Privatleben wissen?«
Toftlund überlegte, ob er sich einmischen sollte, aber ihn faszinierte die Richtung, die das Gespräch genommen hatte; die anderen anscheinend auch. Aischa Hussein war ruhig, aber die Farbe ihrer Wangen war noch ein wenig dunkler geworden.
»Was denkst du über Christiania?«
»Was ist denn jetzt los?« Bjerregaard fummelte in der Tasche nach einem Zigarillo, den er in Toftlunds Nähe sowieso nicht anzünden durfte.
»Na ja, was meinst du? Sollte der Freistaat Christiania dichtgemacht werden?«
»Die Haschbude hätte längst geräumt werden müssen.«
Aischa nickte und wechselte das Thema.
»Was hältst du von Einwanderern, die der Gesellschaft auf der Tasche liegen? Sich des Sozialbetrugs schuldig machen?«
»Die sollten aus dem Land geschmissen werden.«
»Und Dänen?« fuhr sie sanft fort.
»Ins Gefängnis wandern.«
Toftlund merkte, daß JB langsam die Geduld verlor, er rutschte auf seinem Stuhl hin und her und warf seinem Chef einen Blick zu, der ihn aufforderte, der abartigen Fragerei Einhalt zu gebieten. Aber Aischa ließ nicht locker.
»JB? Nennt man dich nicht so? Sag mal, sollte man sein Leben lang mit demselben Menschen verheiratet sein?«
»Jetzt ist aber Schluß!« Bjerregaard erhob sich halb auf seinem Stuhl. »Ist das hier ein Verhör oder was?«
»Bleib sitzen, JB. Du hast selbst damit angefangen«, sagte Per mit seiner Verhörstimme, die alle darin erinnerte, daß er ziemlich ungemütlich werden konnte.
»Ich sehe nicht, was an Treue falsch sein sollte.«
»Sich ordentlich benehmen, seiner Arbeit nachgehen und seinen Verpflichtungen nachkommen. Nicht wahr?«
»Genau. Das sind Tugenden, die vielleicht aus der Mode gekommen sind, die man aber nicht geringschätzen sollte.«
»Nein. Und die Familie ist auf jeden Fall der Eckpfeiler der Gesellschaft, nicht?«
»Das versteht sich von selbst.«
»Klar. Und die Frauen sollen zu Hause bei den Kindern bleiben?«
»Oh, das ist vielleicht ein bißchen viel gesagt. Natürlich haben Frauen ein Recht auf Ausbildung, aber die Kinder werden nicht schlechter davon, wenn die Mutter ein paar Jahre zu Hause verbringt, wenn sie noch klein sind. Kleine Kinder sind nicht dazu geschaffen, mehrere Stunden im Hort zu verbringen.«
»Dann kann der Vater doch zu Hause bleiben.«
»Es gibt nun mal einen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Männer kriegen keine Kinder. Ein kleines Kind braucht seine Mutter. So ist die Natur nun mal eingerichtet.«
Aischa lächelte. Es war ein nettes Lächeln, aber auch ein triumphierendes, das verriet, daß sie die nötige Aggressivität besaß und den Willen, den Panzer ihres Opfers zu durchbrechen. Eine Eigenschaft, die ihr gute Dienste leisten würde, wenn sie später einmal einen Festgenommenen verhören sollte.
»Weißt du, wer genauso denkt wie du? In fast allen Punkten?«
»Nein.«
»Mein Vater. Er ist exakt so reaktionär wie du. Ihr würdet unheimlich gut zueinander passen. Ihr könntet den ganzen Tag über den Verfall der Sitten, das Versagen der Frauen und die Faulheit der Jugend lamentieren, während meine Mutter euch wie selbstverständlich bewirten und mich ausschelten würde, weil ich mich eventuell in das Gespräch der Männer eingemischt hätte, statt scheu die Augen niederzuschlagen oder mich in der Küche nützlich zu machen.«
Das Gelächter fing bei Gislev an und griff dann auf die anderen über. Es war ein befreiendes Lachen, selbst JB mußte lächeln und den Kopf schütteln über diese
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