Der Feind im Spiegel
als wäre er ganz woanders. Sie war nackt, aber das schien ihn nicht zu interessieren. Sie nahm ihren Bademantel vom Haken.
»Ich kann nicht schlafen. Ich gehe eine rauchen.«
»Ja, mach das«, sagte er. Seine Augen waren auf einen fernen Punkt gerichtet, zu dem sie keinen Zugang hatte.
10
Unter sich sah man nichts als das endlose Meer. Es lag grün und leer unter einem tiefblauen Himmel. Vuk beugte sich auf seinem Sitz behutsam vor, um noch mehr vom riesigen, faszinierenden Stillen Ozean überblicken zu können, aber der stämmige schwarze FBI-Mann neben ihm öffnete sofort seine Augen und warf ihm einen kurzen Blick zu, ehe er sie wieder schloß. Spezialagent Michael Kerry hatte klargestellt, daß er sich und ihn als siamesische Zwillinge betrachtete, bis er ihn an seinem Bestimmungsort abgeliefert hatte, der irgendwo im Pazifik liegen mußte, fernab von örtlicher Polizei und globaler Journaille. Vuk wußte nicht genau, wohin es ging, aber er tippte auf Hawaii. Er wußte auch nicht, wo Emma und die Kinder hingebracht wurden. Er hatte eine Minute lang am Telefon mit ihr gesprochen. Länger durfte er nicht. Sie hatte gesagt, sie seien an einen Ort nicht weit von Atlanta geflogen worden. Angeblich zu ihrem eigenen Schutz. Sie seien nicht direkt festgenommen worden, aber es sei doch am besten, wenn sie sich kooperativ zeige, solange sie überprüft wurden. Sie war klug gewesen und hatte am Telefon gesagt: »Was hast du getan, John? Sie behaupten, du hättest eine Vergangenheit.« Dann wurde die Verbindung gekappt.
Er wollte wissen, wo genau sie sich mit den Kindern aufhielt. Die Antworten waren immer gleich. Er würde es möglicherweise erfahren, wenn er kooperierte. Er würde sie möglicherweise sehen dürfen, wenn er kooperierte. Er würde möglicherweise Straffreiheit und eine neue Identität erhalten, wenn er kooperierte. Und die Ware lieferte. Schnell hatte er verstanden, daß es zwei Begriffe waren, die das Gesetz beugten und einen Ausweg eröffneten: Kooperation zur Bekämpfung des Terrorismus, eines gesichtslosen Feindes, der Amerikas flüchtiges, aber beherrschendes Gespenst geworden war.
Und er hatte amerikanisch gedacht. Make a deal. Seine Ausgangsposition war nicht die beste, aber er hatte seine Karten so klug gespielt, wie es ging. Zwar war er an einen FBI-Mann gefesselt, aber immerhin befand er sich nicht auf dem Weg in ein dänisches Gefängnis. Solange er hier war, gab es Hoffnung oder zumindest Optionen. Und das hatte ihm sein alter Kommandant in seinem früheren Land immer eingetrichtert: Halt dir Optionen offen! Solange du Optionen hast, hast du einen Fluchtweg.
Sie hatten ihn in einem Auto mit getönten Scheiben in ein anonymes Büro unweit von Los Angeles gebracht und ihn die Nacht über und den größten Teil des folgenden Tages verhört. Er hatte sich entschlossen, ihnen die entscheidenden Informationen nicht tröpfchenweise zu geben. Er mußte alles auf einmal liefern, damit sie seine Aussagen überprüfen und feststellen konnten, daß sie einen wertvollen Fang gemacht hatten.
Er hatte die Amerikaner richtig eingeschätzt. Ihre Stärke waren die Ergebnisse, nicht die ausgeklügelten Operationen. Mit den Methoden nahmen sie es nicht so genau. Er konnte sie gut leiden. Die meisten waren unkomplizierte Leute ohne Falsch, aber auch recht naiv. Es fehlte ihnen die Fähigkeit, Worte zu durchschauen, für sie zählten Taten. Nun hatten sie einen furchteinflößenden anonymen Gegner bekommen. Konnte man dieser Bedrohung ein Gesicht geben, würden sie sich vertrauensvoll revanchieren. Das Prinzip von Kauf und Verkauf verstanden sie instinktiv. Manus manum lavat. Er hatte ihnen die Wohnung in Berlin geliefert und damit auf jeden Fall zwei Gesichter, zwei Menschen, die, wenn auch nur am Rande, mitgeholfen hatten, den Terrorangriff auf Gottes eigenes Land zu bewerkstelligen. Soweit er es mitbekommen hatte, hatten sie die Wohnung in Zusammenarbeit mit der deutschen Polizei gestürmt. Es war verblüffend, wie schnell die sonst so trägen Behörden momentan reagieren konnten. Die Computer in der Wohnung hatten weitere Namen und Telefonnummern enthalten.
Danach hatten sie ihn förmlich, aber höflich behandelt. Sie hatten ihn in eine anonyme Villa überführt, die er in der Nähe von Santa Monica vermutete. Darin durfte er sich ohne Handschellen bewegen. Nach ein paar Tagen wurde er dann kommentarlos wieder gefesselt und zum Flughafen transportiert. Er hatte erleichtert aufgeatmet. Ihm war klar, daß
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