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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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weil sie mit dem schmutzigen Krieg in den bosnischen Bergen im Grunde nichts zu tun hatte. Oder hatten ihn schon damals Zweifel beschlichen, ob die Motive, auf die er sich berief, wirklich so hehr waren, wie er dachte? Bekam sein anerzogener Glaube, die Welt habe es auf die Serben abgesehen, die ihrerseits die menschliche Zivilisation mit ihrem Blute hatten verteidigen müssen, schon damals die ersten Risse? Oder hatte ihn plötzlich alles angewidert und hatte er sich nur nach dem unkomplizierten Leben zurückgesehnt, das seine Familie in Dänemark geführt hatte? Der Gedanke an Fatima, wie sie da in der Klasse vor ihm saß, hatte ihn gerührt. Er wollte nicht, daß sie mit dem schmutzigen Bürgerkrieg in Zusammenhang gebracht wurde. Hatte er sich in einem schwachen Moment erlaubt, sentimental zu sein? Aber das war jetzt auch egal. Heute interessierte ihn nur eines: daß Fatima und ihr großer Bruder Mustafa wissen mußten, wer Azim war. Und der wiederum war sein größter Trumpf gegenüber den Amerikanern.
    Das Flugzeug neigte sich, und Vuk blickte auf die See, und als es sich wieder aufrichtete, tauchte am Horizont eine üppig grüne Insel auf. Sie wuchs aus dem Meer empor, und hinter ihr erschienen weitere, ebenfalls dichtbelaubte Inseln. Das Fasten seatbelts- Lämpchenleuchtete auf, und die Maschine begann mit dem Landeanflug. Michael Kerry setzte sich aufrecht und zog dabei an Vuks Handschellen.
    »Wohin soll ich hier eigentlich fliehen?« fragte Vuk.
    »Ich befolge nur die Anweisungen, Kumpel.«
    »Hast du Angst, daß ich aus dem Fenster springe?«
    »Weißt du was? Ich habe vor gar nichts Angst, aber die Drecksterroristen haben die Flugzeuge nur in ihre Gewalt bekommen, weil sie ein paar Messer hatten. Ich gehe kein Risiko ein. Du wirst diesen Flieger nicht als Marschflugkörper mißbrauchen.«
    Vuk beugte sich zu ihm hinüber. Wie so viele amerikanische Männer duftete er nach Rasierwasser oder irgendeinem Körperspray.
    »Hawaii?«
    » Yep. «
    »Nicht schlecht.«
    »Ich glaube kaum, daß man dich nach Hawaii schickt, damit du hier mit Mai Tais und Hulamädchen auf der faulen Haut liegst.«
    »Was ist Mai Tai?«
    »Ein Cocktail, Mann. Rum und Ananas und irgendeine geheime Zutat, die in jeder Bar anders ist. Lokaler Sonnenuntergangsdrink.«
    »Das heißt, du bist schon mal dagewesen?«
    »Auf Hochzeitsreise.«
    »Ah ja.«
    »Aber das geht dich nichts an.«
    »Und auf welcher Insel?«
    »Mann, bist du neugierig. Aber was soll’s? Maui. Wir fliegen gerade drüber weg.«
    »Und wo sollen wir hin?«
    »Auf eine der anderen.«
    »Das kann ich mir denken.«
    »Abwarten. Aber okay, es ist Kauai. Die kleinste. Die einsamste. Mitten im Pazifik. Da werden dir dann bestimmt auch die Handschellen abgenommen. Denn wo solltest du da schon hinlaufen?«
    Vuk lachte.
    »Ich kann schwimmen.«
    »Viel Vergnügen. Vor der Küste verlaufen ein paar Querströmungen, die selbst dem besten Schwimmer den Garaus machen können. Wenn eine große Welle übers Riff bricht, kann sie nicht wieder raus und sucht zusammen mit den anderen Strömungen die Küste ab, bis sie eine größere Öffnung im Riff findet. Da wird sie mit einer Geschwindigkeit durchgepreßt, als würde sie aus einer Kanone abgefeuert, und reißt dich unweigerlich mit.«
    »Ist dir das passiert?«
    »Dann würde ich nicht hier sitzen. Und dann gibt’s noch die Haie. Nein, nein, ich halte mich lieber an den Swimmingpool.«
    Die Insel tauchte auf, und sie flogen an der Küste entlang. Sie war von der Sonne beschienen, abgesehen von ihrer Mitte, wo ein vulkanisches Massiv in schwere Wolken gehüllt war. Es sah aus wie in einem Film, und als könnte Michael Kerry Gedanken lesen, sagte er: »Wenn du meinst, du hättest das schon mal gesehen, liegst du richtig. War die Kulisse für King Kong. Der lebte da. Ist der feuchteste Ort der USA. Sogar der ganzen Welt!«
    »Schön.«
    »Nicht wahr? Ein paar Szenen aus Jurassic Park sind auch hier gedreht worden. Und der Jäger des verlorenen Schatzes, einer von den Indiana-Jones-Filmen.«
    »Was du alles weißt.«
    »Das sind geile Filme. Und die Gegend hier ist einfach phantastisch, Mann.«
    Sie war phantastisch. Wie auf einer Postkarte oder in einer Reisebroschüre, die mit einem Urlaub im Tropenparadies lockte. In den letzten Jahren hatte er mitten in der Wüste gelebt, so daß ihn das ganze Wasser hier ziemlich überwältigte. Aus der Luft sah die Insel recht klein aus. Er wußte nicht viel über Hawaii. Nur daß es ein

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