Der Feind im Spiegel
verdient. Nach allem, was du durchgemacht hast. Wie sie sich ausdrückte.«
»Per, du bist ein verrückter Kerl, aber manchmal liebe ich dich einfach mehr als alles andere auf der Welt.«
»Das weiß ich doch. Also jetzt ruf an, schreibe, maile und dann komm endlich ins Bett!«
*
Am nächsten Abend saßen sie vor dem Fernseher und sahen sich die Nachrichten auf beiden Kanälen an. Per hatte keinem Journalisten erlaubt, an die Sache heranzukommen. Er überließ Vuldom und dem Reichspolizeichef die Mitteilung, daß Dänemark an die USA einen Auslieferungsantrag stellen werde. Man betrachtete es als reine Formsache, daß der serbische Däne ausgeliefert wurde. Nach den vorliegenden Informationen hatte er auf amerikanischem Boden keine strafbaren Handlungen begangen, abgesehen von dem Betrug mit den Sozialversicherungskarten und anderen Ausweispapieren. Die Medien wußten nicht sehr viel über sein Leben in den USA oder wo er sich zur Zeit aufhielt, aber man hatte Reporter ins kalifornische Death Valley entsandt, wo er festgenommen worden war. Die Nachricht von seiner Verhaftung wurde unterlegt mit Hintergrundinformationen über Vuk alias Janos und das blutige Drama auf dem alten Flakfort vor dem Kopenhagener Hafen, wo es der gedungene Mörder um ein Haar geschafft hätte, die Schriftstellerin Sara Santander zu töten.
Lise schmiegte sich an Per und dachte an die vergangene Nacht und freute sich schon auf die kommende. Freya schlief mit dem Schnuller im Mund am Fußende des Sofas, wo sie nach dem Abendessen eingenickt war. Es war ein anstrengender, aber auch sehr befriedigender Tag gewesen. Chefredakteur Tagesen hatte angerufen und ein Loblied auf sie angestimmt, und sie hatte fast sämtlichen Medien Interviews gegeben. Es war schon merkwürdig, sich selbst und die alten Ereignisse im Fernsehen zu sehen. Es war eigentlich unpersönlich und doch zugleich sehr persönlich. Sie hatte ja damals selbst eine Hauptrolle in dem Drama gespielt, sie sah ihr entsetztes Gesicht, Pers verzweifelten und rasenden Gesichtsausdruck, und sie hörte das Schreien und Rufen, das von den vielen Kameras und Aufnahmegeräten wiedergegeben wurde, die an jenem sonnigen Nachmittag an Ort und Stelle gewesen waren. Sie lauschte den Worten des Fernsehjournalisten.
»Gegen die iranischstämmige Schriftstellerin Sara Santander war vom iranischen Mullahregime die Fatwa verhängt worden. Seitdem hatte sie sich an einem geheimen Ort aufgehalten. Dänemark war das erste Land, in dem sie öffentlich auftreten wollte. Sie war vom Dänischen PEN und von der Tageszeitung Politiken eingeladen worden.«
Dann erschien die White Whale, die mit Tagesen, Sara und ihr selbst an Bord einfuhr, sowie Bilder des Flakforts.
»Trotz weitreichender Sicherheitsmaßnahmen und Geheimniskrämerei gelang es dem Auftragsmörder, sich auf dem Flakfort zu verstecken. Er verwundete Sara Santander und mehrere Journalisten, tötete einen Polizeibeamten und einen Kameramann und ergriff mit der Kulturredakteurin Lise Carlsen als Geisel die Flucht.«
Noch einmal sahen sie und Per die dramatischen Szenen: Vuk hatte Lise im Schwitzkasten, in der andern Hand die Pistole. Er hatte einen dunklen Bart und dunkles Haar, so daß er nicht gleich zu erkennen war. Sie konnte sich noch an seine eisblauen Augen und seine furchteinflößende Ruhe erinnern. Sie sahen, wie das schlanke, braune Motorschiff ablegte und plötzlich, gefilmt durch die Telelinse der Kamera, weit draußen auf dem Meer von einer gewaltigen Explosion zerrissen wurde. »Die Polizei verlor die Spur des Terroristen. Zunächst glaubte man, er sei umgekommen, aber später fand man seinen Wagen in Stockholm am Anlegeplatz der Fähre nach Finnland.«
Dann wechselte das Bild zum Fernsehreporter auf dem Flakfort. Er schaute direkt in die Kamera. Im Hintergrund spielten einige Kinder Minigolf. »Heute ist von den blutigen Ereignissen auf der alten Festungsinsel nichts mehr zu sehen. Hier draußen, wo vor einem Jahr der blutigste Terrorakt seit dem Zweiten Weltkrieg stattfand, spielen heute glückliche Kinder. Der Verantwortliche des Blutbads sitzt jetzt in Amerika hinter Schloß und Riegel. Aber wer ist er eigentlich, dieser dänischsprechende Serbe. Wir wissen es nicht. Er nannte sich Vuk. Er nannte sich Janos. Er nannte sich Carsten. Er war der Terrorist mit den vielen Gesichtern und den vielen Identitäten, aber zuletzt half ihm das auch nicht mehr. Die Vergangenheit hat ihn eingeholt. Der Terrorist muß sich darauf gefaßt
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