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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Heimat nannten und das für sie nichts anderes als weit weg war, durfte sie sich nicht ohne Aufsicht bewegen, obwohl sie in Hvidovre längst allein zur Schule ging. In der vierten Woche hatte sie sich geweigert, weiterhin Kaffee auszuschenken und überhaupt noch ein Wort zu sagen. Der Vater hatte ihr dreimal ins Gesicht geschlagen, bis sich ihre sonst so fügsame Mutter dazwischengeworfen hatte. Die letzte Woche und der Heimflug waren ihr sehr, sehr lang vorgekommen.
    Sie versuchte sich auf die Zeitung zu konzentrieren. Es ging nicht. Die folgenden Jahre waren so schrecklich gewesen, daß sie am liebsten gar nicht mehr daran denken wollte. Sie sah sich noch einmal das Foto der Selbstmordattentäterin an und dachte, vielleicht hätte sie ein ähnliches Schicksal ereilen können. Oder wenn nun ihr Vater ein Kurde aus sehr traditioneller Familie gewesen wäre? Hätte er sie dann totgeschlagen um ihrer Ehre willen? Das konnte sie sich nicht vorstellen. So war er nicht, obwohl er jahrelang entrüstet und verletzt gewesen war. Und doch hatte schließlich die Liebe der Eltern zu ihr über Zorn und Verbitterung gesiegt. Vielleicht weil der Vater genau wußte, daß sein Traum von der Heimkehr bloß ein Ritual war, ohne jeden Bezug zur Wirklichkeit. Tief im Innern war ihm klar, daß er in Dänemark sterben würde, und wenn er heimkehrte, dann erst im Sarg. Allah möge dafür sorgen, daß es spät geschähe. Weil sie noch jüngere Brüder hatte?
    Hassan war fünf Jahre nach ihr geboren. Da war die Mutter schon in Dänemark. Und der kleine Issa kam weitere zwei Jahre später auf die Welt. Hassan sah sie immer noch schief an und hatte ihr nie so recht vergeben, aber Issa hatte ihre Entscheidung längst akzeptiert. Beide Brüder hatten dänische Freundinnen gehabt, und sie hatte sie angespuckt aus lauter Verachtung für ihre Heuchelei und Doppelmoral, wenn sie sie wegen ihres Verhaltens kritisierten. Sie hatte keine Lust mehr, darüber nachzugrübeln. Sie hatte ihren Willen bekommen. Aber war sie glücklich? Oder war in Wahrheit ihre Mutter glücklicher mit ihrem traditionellen Leben, in dem sie den Ehemann und das Heim umsorgte und mit ihren gleichaltrigen Freundinnen schwatzte? Ach, wie diese Frauen Hassans kleine Söhne bewunderten, die er mit Khadija hatte, die als sittsame Frau ins Land gekommen war und sich problemlos in ihr unveränderliches arabisches Frauenuniversum einfügte. Aber letztendlich war Aischa heilfroh, hier in einem Flugzeug zu sitzen und eine Aufgabe zu haben, anstatt angstgelähmt in einer Krisenberatungsstelle zu hocken. Bevor sie in den Geheimdienst eingetreten war, hatte sie ehrenamtlich in einem Beratungszentrum gearbeitet, wo sie versucht hatte, mit mißhandelten Frauen zu reden. Es war eine aufreibende und deprimierende Arbeit, weil sie für diese Frauen mit ihren tyrannischen, gewalttätigen Männern im Grunde keinen Ausweg sah. Das hatte sie ihnen natürlich nicht gesagt. Obwohl es eine uneigennützige Arbeit war, erkannte sie, daß sie auch eine Art Therapie für sie selbst darstellte, weil sie sie darin bestätigte, daß sie trotz aller Konflikte, Schmerzen und Enttäuschungen in der Familie die richtige Wahl getroffen hatte. Eine richtige Wahl ist eben nicht immer gleichbedeutend mit einer einfachen Wahl.
    Sie bemühte sich, ihre Zeitung leise umzublättern, aber Per wachte trotzdem auf. Er streckte sich.
    »Sind wir bald da?«
    »Hast du gut geschlafen?«
    »Wie ein Stein.«
    »Unglaublich. Im Flugzeug oder im Auto kann ich nie schlafen.«
    »Das habe ich als Soldat gelernt. Schlafe, wenn du die Gelegenheit hast. Sind wir bald in Venedig?«
    »In einer halben Stunde, glaube ich.«
    »Na, dann können wir noch einen Kaffee trinken.«
    Er bestellte eine Tasse Kaffee, leerte sie und ließ sich noch einmal nachschenken, dann sagte er: »Ich habe deinen Freund Ibrahim von den Italienern durchchecken lassen …«
    Sie drehte sich zu ihm um. Ihre Stimme war ein wenig scharf.
    »War das unbedingt nötig? Er ist ein alter Mann.«
    » You know the game, girl. «
    »Trotzdem.«
    »Interessanter Herr mit interessanter Geschichte. Aber das weißt du ja selbst. Ibrahim Krassilnikow mit dem russischen Vater und der libanesischen Mutter ist nicht nur ein gelehrter Mann, wenn es um Islam und Hawala geht, sondern auch eine Größe in der Terrorforschung. Die Italiener lassen sich gerne von ihm weiterhelfen. Aber das wußtest du vielleicht auch schon?«
    »Nein. Aber ich weiß, daß er viel weiß.«
    »Na, das

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