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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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nachgeholt und ihnen in dem fernen, unbekannten Land im Norden ein sorgloses Leben ermöglicht hatte. Als sie dort vor dreißig Jahren ankamen, hatten sie nicht sehr viel Platz zum Wohnen. Sie konnte sich auch nicht an sehr viel erinnern. Nur daran, daß es so kalt war und die Leute so komisch sprachen und daß ihre Mutter sagte, in Dänemark gebe es keinen Grund mehr, Angst zu haben. Als ihr Vater Arbeit im Stahlwalzwerk in Frederiksværk bekam, konnten sie auch in eine größere Wohnung ziehen. Es war eine schöne Zeit gewesen, obwohl ihr Vater immer so müde und schmutzig von der Arbeit nach Hause kam. Sie schickten Geld an ihre Familie in dem palästinensischen Dorf und litten selber keinen Mangel. In der Stadt gab es etliche Fremdarbeiterfamilien, auch viele aus Jugoslawien, aber in der Schule hatte sie von Rassismus nichts gespürt. Anfang der achtziger Jahre war die ganze Familie nach Hvidovre umgezogen. Zwei Onkel und vier Vettern waren mit ihren Familien ebenfalls nach Dänemark gekommen, und die Mutter wollte gern in ihrer Nähe wohnen. Anfangs hatte Aischa Sehnsucht nach Frederiksværk gehabt, aber das gab sich, als sie aufs Gymnasium kam. Der Vater und der jüngere Bruder kauften zunächst einen Kiosk und später ein Gemüsegeschäft, das der Bruder jetzt weiterführte. Die Arbeitstage des Vaters wurden dadurch noch länger, aber unter den anderen Palästinensern und Arabern genoß er großes Ansehen, weil er für seine Familie sorgte und eine ehrbare, gute Tochter und zwei kräftige Söhne hatte.
    Wann und weshalb ihre Revolte begonnen hatte, wußte sie noch sehr genau. Sie hing mit der Reise in das elterliche Dorf in Palästina zusammen. Sie wurden wie Helden empfangen und brachten viele Geschenke aus Dänemark mit. Willkommen daheim, hatte es geheißen. Aischa war entsetzt. Das hier war nicht ihr Zuhause. Es war ein entsetzlich armer Ort, staubig, heiß, nach Abfall stinkend. Besonders die Armut hatte sie abgestoßen, wie sie heute zugeben mußte, weil es ihr schwer im Magen lag, daß sie vielleicht nur durch die Gunst des Schicksals in einem reichen Land wohnte, während die Familien ihrer Mutter und ihres Vaters in der alten Heimat in Armut und ständiger Angst vor den israelischen Besatzern lebten. Die baufälligen Häuser, die schlechten Zähne, die altmodische, häßliche Kleidung. Die vielen Frauen, die Aischas Aussehen und ihre Sittsamkeit der Mutter gegenüber lobten, als wäre sie gar nicht da. Oder die Männer, die ihr scheue, aber abschätzende Blicke zuwarfen. Und sie mußte ein Kopftuch tragen. Es war heiß. Sie haßte es ebenso wie das lange Gewand. Sie sehnte sich nach ihren Jeans, ihrer Rockmusik und ihren Freunden in Hvidovre. Ich will nach Hause, hatte sie auf dänisch zu ihrem Vater gesagt, der erbleichte und die Hand hob, als wollte er sie schlagen. Aber das hatte er nur einmal gemacht. Die Brüder hatten sich ihre Ohrfeigen eingefangen, während sie selbst nur die bösen und verletzenden Bemerkungen abbekam. Aber die trafen sie genauso hart wie die Prügel, mit denen der Vater ihre Brüder bedachte, als sie größer wurden.
    Diese vier Sommerwochen waren die Hölle für sie gewesen. Sie war vierzehn und hatte die Anweisung bekommen, sich schicklich zu kleiden und schicklich zu benehmen. Mit niedergeschlagenen Augen die Ältesten zuerst zu grüßen, wie es sich gehörte. Zu schweigen, außer wenn sie gefragt wurde, und den Jungen nicht in die Augen zu sehen. Das war schwer. Von zu Hause war sie etwas anderes gewöhnt. In der Schule sagte der Lehrer immer zu ihr: Sieh mich an, wenn ich mit dir rede. Aber am schlimmsten war die plötzliche Einsicht, daß sie eine potentielle Braut war. Ein stetiger Strom von Eltern besuchte das Haus ihres Onkels, und sie mußte ihnen Kaffee und Tee servieren. Um taxiert werden zu können wie eine Ziege auf dem Markt. Sie hatte ihre Mutter gefragt: Was wollen diese Leute? Du wirst allmählich eine Frau, kleine Aischa. Wir müssen daran denken, einen Mann für dich zu finden. Mehrere Vettern haben bereits ihr Interesse bekundet, und ihre Eltern möchten gern mit deinem Vater sprechen. Das ist eine große Ehre. Mach deiner Familie keine Schande, damit unsere Gesichter nicht auf ewig schwarz werden. Sie war auf einen der Hügel gelaufen und hatte sich die Augen ausgeweint und ihr Zimmer in Hvidovre herbeigesehnt, wo sie ganz für sich sein konnte. Der Vater und ein Onkel hatten sie gefunden. Der Vater war weiß vor Wut. In diesem Land, das die Eltern

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