Der Feind im Spiegel
Verbindungen zu al-Qaida vor versammelter Mannschaft hatte halten dürfen. Unter den britischen, deutschen, spanischen und amerikanischen Geheimdienstlern waren außer ihr nur noch zwei andere Frauen dagewesen. Dafür war es auffallend, daß es unter den Amerikanern und Briten etliche mit sogenanntem anderen ethnischen Hintergrund gab, auch wenn sie diesen Ausdruck haßte.
London war wirklich ein Erfolg gewesen. Sie waren sich nähergekommen. Per betrachtete sie jetzt mit anderen Augen. Und sie verstand die Arbeit der Nachrichtendienste immer besser. Dabei war es noch gar nicht so lange her, daß sie ihren Job im Lebensmittelministerium interessant gefunden hatte. Aber es gab nichts Aufregenderes und Stimulierenderes als die Arbeit in dieser Schattenwelt, der sie sich mehr und mehr zugehörig fühlte.
Per war beinahe umgehend eingeschlafen. Wollte nichts essen. Wollte nicht geweckt werden. Sie betrachtete ihn verstohlen. Sein Gesicht sah im Schlaf müde und zerfurcht aus. Die Lachfältchen um Mund und Augen glichen jetzt eher Streßfurchen, die sich in die helle Haut eingekerbt hatten. Aber als Typ war er in Ordnung. Vielleicht etwas grob in seiner Art, aber auch sehr charmant auf eine altmodische Weise. Ob sie etwa in ihn verschossen war? Nein, das ging doch nicht. Oder doch? Die Dänen waren ja reichlich liberal in solchen Sachen. Oder inzwischen nicht mehr? Schließlich war er unter der Haube. War er es überhaupt noch? Dem Bürotratsch hatte sie entnommen, daß seine Frau und er getrennt lebten, aber ob sie sich auch scheiden lassen wollten, wußte sie nicht. Sie hatten ja ein gemeinsames kleines Kind. Wenn sie Brian richtig verstanden hatte, hatte Per keine Geliebte, sie hatten sich also nicht deshalb getrennt. Tove hatte gemeint, das sei eigentlich recht sonderbar. Per stand nämlich im Ruf, ein Frauenheld zu sein, jedenfalls war er das als Junggeselle gewesen, hatte Tove gesagt.
Aischa blickte auf die Wolkendecke. Sie lag da wie ein wogendes Meer und bildete merkwürdige, verzerrte Skulpturen. Irgendwo da unten wartete der Frühling mit all seiner Schönheit und Kraft. In Venedig hatte er hoffentlich schon Einzug gehalten. Aischa schüttelte sich. Als wäre es in der Kabine plötzlich kalt geworden. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Per Toftlund zurück, während sie sein schlummerndes Gesicht und seine kräftigen Hände betrachtete, die sie sich auf ihrer nackten Haut vorstellte, sie konnte einfach nicht anders. Sie war schon lange nicht mehr mit einem Mann zusammengewesen. Trotzdem würde sie Sex wohl immer als eine Art Schuld oder Sünde empfinden, obwohl das christliche Begriffe waren, keine islamischen. In ihrer Welt sprach man dagegen mehr von der Schande. Die Begriffe Ehre und Schande würden sie immer verfolgen, da war nichts zu machen. Sie konnte ihr Leben nicht im nachhinein ändern. Sie wollte es auch gar nicht. Dankbar dachte sie an Shirin aus dem Iran, die sie gelehrt hatte, ihren Körper zu lieben und ohne Scham die Liebkosungen und die Liebe eines anderen Menschen anzunehmen. Aber Shirin kam auch aus einem anderen Elternhaus. Sie waren dem elenden Mullahregime entkommen. Sie dachten weltlich und modern. Der Islam war ein kultureller Einschlag, aber kein wesentlicher Teil ihres Lebens. Shirin empfand weder Schuld noch Scham, wenn sie mit Jungs ging. Jetzt war sie mit einem dänischen Arzt verheiratet, war selber Ärztin, hatte zwei Kinder und war selbstredend weiterhin berufstätig. Wie neidisch Aischa auf die freie, schöne Shirin gewesen war, die für die massenhaften Ver- und Gebote der Väter, Brüder, Onkel, Vettern und Imame nur ein Lachen übrig hatte. Diese Vorschriften waren gegen die Frauen gerichtet. Also vergiß sie, Aischa! Du hast deine Chance erhalten. Weg mit den Schleiern und Kopftüchern, auch den geistigen! Lebe dein Leben! Du wohnst nicht mehr in einem Land, in dem die Männer über uns Frauen bestimmen. Sie hatte natürlich gut reden mit ihren liberalen Akademikereltern aus Teheran. Aber Aischa hatte es sich hinter die Ohren geschrieben. Es war nicht leicht, aber es war die Sache wert gewesen. Obwohl sie immer noch gegen Vorurteile kämpfen mußte. Auch gegen ihre eigenen. Per wußte unter Garantie nicht, daß es eine sehr bewußte Handlung ihrerseits, ein Zeichen der Selbstbestimmung gewesen war, als sie sich nach dem Abendessen in Kopenhagen bei ihm eingehakt hatte. Selbst Eheleute hatten sich in ihrer Kultur im öffentlichen Raum nicht zu berühren. Es ziemte sich
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