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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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wenig am Tee und plauderte ein Weilchen über Trivialitäten.
    Ibrahim setzte sich in den Sessel, der Toftlund gegenüberstand. Aischa saß mit adrett geschlossenen Beinen auf dem Sofa, die Hände ruhten auf ihrem Schoß. Der Tee war für Toftlunds Geschmack viel zu süß. Glücklicherweise waren die geschwungenen Gläschen nicht sehr voll. Mit brüchiger und leiser Stimme und in seinem langsamen, aber äußerst korrekten Deutsch fragte Ibrahim nach Toftlunds Gesundheit – sie war ausgezeichnet – und ob es sein erster Besuch in Venedig sei – das war er in der Tat –, und schließlich, ob die Reise problemlos und angenehm gewesen und ob ihr Hotel komfortabel und ruhig sei – was beides dankend bejaht werden konnte. Ibrahims freundliche Art ging Toftlund auf den Geist. Er fühlte sich behandelt wie ein Schuljunge. Besonders als der alte Mann seinen Vortrag fortsetzte: »Übermorgen muß ich in Zürich eine kleine Vorlesung auf deutsch halten. Über Dinge, mit denen ich mich in den letzten Jahren beschäftigt habe. Wie können wir unseren muslimischen Glauben und unsere Lebensweise mit den modernen europäischen Gesellschaften vereinen? Die Gesellschaften müssen uns entgegenkommen. Und wir müssen ihnen stärker entgegenkommen. Wir müssen lernen zu unterscheiden, was wirklich islamisch ist und was alte und verkrustete kulturelle Muster sind, die nicht islamisch sind, aber durch falsche Deutungen des Heiligen Buchs gerechtfertigt werden sollen. Das ist eine große, aber unverzichtbare Aufgabe. Wir müssen eine Lösung finden, die den Islam wohlbehalten fortexistieren läßt, und zwar in dieser Moderne, die nun mal unsere Welt ist und unsere Welt bleiben wird, einerlei was verblendete Terroristen, Fanatiker oder Fundamentalisten darüber denken.«
    »Und wie soll man das schaffen? Daß man eine Lösung finden muß, ist ja leicht gesagt.«
    »Man muß den Kern des Problems formulieren. Die europäischen Gesellschaften haben einen Riesenschritt nach vorn gemacht, als die Renaissance mit dem deterministischen mittelalterlichen Glauben an Gottes allumfassenden Willen aufgeräumt hat. Warum haben wir keinen Leonardo da Vinci in unseren Reihen? Sie kennen doch sicher die Gedanken dieses großen Mannes über Kunst, Rationalität und Wissenschaft?«
    »Nicht besonders. Sind Sie vielleicht der Leonardo unserer Zeit?«
    Ibrahim lachte heiser. Irgendwie war er nicht zu packen. Er war ein bißchen zu glatt, und unter dieser Oberfläche steckte etwas, aus dem Toftlund nicht schlau wurde. Er dachte an die Vita des Alten. Härte und Brutalität dürften ihm nicht fremd sein. Sonst hätte er im Zweiten Weltkrieg nicht hinter den feindlichen Reihen überleben können. Er hatte etwas Doppelzüngiges, hinter den durchaus einleuchtenden Worten verbarg sich noch mehr. Er hatte Geheimnisse, und es war Toftlunds Erfahrung, daß in den Geheimnissen eines Menschen die Wahrheit ebendieses Menschen zu finden ist.
    Ibrahim hustete und fuhr fort: »Ich versuche in all meiner Unvollkommenheit nachzuweisen, daß man sowohl gläubiger Muslim als auch Demokrat und moderner Europäer sein kann. Daß die beiden Überzeugungen keine Gegensätze sind, sondern recht eigentlich dasselbe. Langweile ich Sie, Herr Toftlund?«
    »Nein.« Toftlund schluckte.
    »Wie liebenswürdig von Ihnen. Nun, vielleicht sollten wir lieber englisch reden. Aischa, die wie eine Tochter für mich ist, beherrscht mehrere Sprachen, aber Goethes und Schillers schöne Wortkunst hat sie nie erlernt.«
    »Woher wissen Sie, daß ich Deutsch spreche, Herr Krassilnikow?« fragte Toftlund auf deutsch.
    Ibrahim gluckste, als hätte Toftlund einen Witz gemacht.
    »Sie sind doch Däne. Können nicht alle Dänen Deutsch?«
    »Die Zeiten sind leider vorbei.«
    »Ach, ich war der Meinung …«
    Toftlund beugte sich vor und blickte ihm in seine intensiven, dunklen Augen.
    »Nein, das waren Sie nicht, Herr Krassilnikow! Dazu sind Sie viel zu schlau. Sie haben Informationen über mich eingeholt.«
    Ibrahim lächelte.
    »Vielleicht, vielleicht. Man möchte doch gerne wissen, wen man zu Gast hat. Abgesehen von Aischa selbstredend, die ich kenne wie mein eigen Fleisch und Blut und auf die ich sehr stolz bin, weil sie in einer schwierigen und gefährlichen Zeit so viel erreicht hat.«
    »Was haben Sie denn herausgefunden?«
    »Daß Sie ein guter Mensch sind, Herr Toftlund. Sie hatten vor einigen Jahren Probleme, aber heute sind Sie auf Ihrem Gebiet ein anerkannter Mann. Sie sind kompetent, und

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