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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Sie stehen weiterhin auf der Gehaltsliste …«
    »Ich glaube nicht, daß wir noch viel zu besprechen haben, Herr Toftlund.«
    Per beugte sich vor. Er war dem Alten so auf den Pelz gerückt, daß er jetzt eine echte Unsicherheit in dessen Augen erkennen konnte. Aus dem Augenwinkel sah er, daß Aischas Nervosität wuchs. Sie wußte nicht recht, ob sie die alte Regel ihrer Kultur, daß Frauen in der Gesellschaft von Männern zu schweigen haben, brechen und sich einmischen sollte, um ihren Ersatzvater zu verteidigen. Toftlund sah sie warnend an und fuhr auf deutsch fort: »Herr Krassilnikow. Ich weiß, Sie sind ein gelehrter Mann, wenn es um islamische Theologie geht, aber das interessiert mich nicht. Gesetz ist Gesetz, und das Gesetz muß befolgt werden, dann kann man meinetwegen auch den Gott anbeten, den man will. Ich jage Verbrecher. Das ist das einzige, was mich interessiert.«
    »Und damit begehen Sie einen Fehler, Herr Toftlund. Die Wut, die ich an Ihnen wahrnehme, wenn ich die Übergriffe auf Ihre Mutter erwähne, ist die Wut, die entsteht, wenn man ungerecht behandelt wird oder es so empfindet, ich sage bewußt, es so empfindet! Aus dem Haß und der Wut erwächst der Terrorismus.«
    »Dann müßte ganz Afrika ein großes Terroristennest sein.«
    »Ja. Aber Afrika ist es nicht. Es ist der Nahe und Mittlere Osten, weil der Islam die Religion ist, die Millionen von Menschen hoffen läßt, daß die Welt ein besserer Ort werden könnte.«
    »Eine falsche Hoffnung.«
    »Richtig, aber Menschen in Not sehen das nicht. Für die ist die Religion Hoffnung und Trost. Die Kopftücher junger Frauen sind heute nicht nur ein Ausdruck dafür, daß sie Allah folgen, sondern auch ein Protest gegen die Gesellschaft, die sie ihrer Meinung nach verachtet. Osama bin Laden ist für Millionen Menschen ein Held. Ein Selbstmordattentäter in Israel begeht in Ihren Augen eine sinnlose Tat, für Millionen Menschen ist sie preiswürdig. Und das verstehen Sie nicht.«
    »Sie vielleicht?«
    »Ja und nein. Ich verurteile sie. Im heutigen Europa ist es nun mal eine Tatsache, daß der Islam die zweitgrößte Glaubensrichtung ist. Wir Muslime müssen lernen, unseren Glauben mit der Demokratie zu vereinbaren. Das zu betonen ist banal, und doch muß man es andauernd wiederholen. Letzten Endes ist es ein Kampf zwischen Modernität und Rückwärtsgewandtheit. Denn, Herr Toftlund, in der heutigen Welt gibt es zwei große Kräfte. Sie sind entgegengesetzt und hängen doch zusammen. Die eine ist, daß die Hoffnung auf ein besseres Leben für Millionen von Menschen an die Auswanderung in unsere reiche Welt geknüpft ist. Die andere, die aus derselben ungerechten Welt entsteht, ist der Haß auf unser System. Die reiche, weltliche, gottlose Gesellschaft.«
    »Sie sagen ›unser‹ System.«
    »Ja, ich sage ›unser‹ System. An Demokratie und Freiheit führt kein Weg vorbei. Wir müssen den Schlüssel dazu finden, damit wir unseren Glauben und seine Gesetze bewahren und gleichberechtigt mit allen anderen am weltlichen, demokratischen Leben teilnehmen können.«
    »Klingt einleuchtend.«
    »Deshalb ist es schwer.«
    »Warum?«
    »Weil der Schmerz und das Gefühl von Verlust und Niederlage in der arabischen Welt so groß sind. Wir erhalten keine Nobelpreise, unseren Wissenschaftlern zollt niemand seinen Respekt. Wir veröffentlichen keine große Literatur. Haben wir Künstler, von denen die Welt spricht? Filmemacher? Große Denker? Nein. Einst hatten wir eine bedeutende und weitreichende Kultur, die ein Vorbild für die damalige Welt war. Warum starb diese Kultur? Warum versanken wir in Unwissenheit und Armut? Warum haben wir so viele Analphabeten? Warum nehmen unsere Frauen nicht am gesellschaftlichen Leben teil? Wir werden von Despoten und Tyrannen gesteuert. Ohne das Öl wären wir ein absolutes Nichts. Aber wir sind sowieso ein Nichts. Seit fünfzig Jahren haben wir keinerlei Fortschritte gemacht. Unsere Helden sind Osama bin Laden und Saddam Hussein und die Selbstmordattentäter unter unseren leidenden palästinensischen Brüdern und Schwestern. Israels Existenz erinnert uns tagtäglich an unsere Ohnmacht. Um weiterzukommen müssen die arabischen Nationen erst ihre Niederlage und ihre Rückständigkeit erkennen.«
    »Dann pfeift auf den Koran und begrüßt endlich das 21. Jahrhundert, meine Güte!«
    Ibrahim zuckte resigniert mit den Schultern und sah Aischa an, die wegschaute. Sie war noch blaß, aber auch sie hatte jetzt zornige Augen, ein Zorn, der

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