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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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es wirklich war.«
    »Sechzehn.«
    »Oh, mein Gott, Meg!«
    »Die Uhr lief«, erklärte ich. »Inzwischen wäre es noch mehr, wenn –«
    »Du hast alles bezahlt?«
    »Ich hab nur getan, was du an meiner Stelle auch getan hättest.«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Du brauchst mir nicht zu danken.«
    »Ich werde dir auch nicht danken. Ich werde mit dir schimp-fen, du dummes Huhn! Was hast du dir bloß dabei gedacht?«
    Sie riss die Hand hoch, als wollte sie mir ins Gesicht schlagen, brach stattdessen aber in Tränen aus.
    Ich zögerte einen Moment, aber dann nahm ich sie einfach in den Arm. »Du hättest dasselbe auch für mich getan«, wiederholte ich.
    »Wo hast du denn so viel Geld herbekommen?«, fragte sie schluchzend.

    »Ach, von hier und da.«
    »Du hast dein ganzes Erspartes geopfert, stimmt’s? Das Geld für dein Haus.«
    »Das war genau der Notfall, für den ich es gespart hatte.«
    Holly stieß ein Lachen aus, das eigentlich mehr nach einem Schluckauf klang. »Aber es war mein Notfall, nicht deiner. Meg, ich –«
    »Es spielt keine Rolle«, schnitt ich ihr das Wort ab.
    Wir hatten den Eingang von Golders Hill Park erreicht und schlenderten an den Emus vorbei auf die Ziegen zu. »Kein Mensch kann richtig unglücklich sein, wenn er einer Ziege zusieht«, sagte ich. Dann fügte ich im gleichen Ton hinzu:
    »Wie geht es deinem Gehirn?«
    »Das nenne ich eine direkte Frage«, antwortete Holly. Sie schob die Hände in die Manteltaschen.
    Ein kleiner Junge stieß ein schrilles Blöken aus.
    »Ich war entsetzt, als ich von der Elektroschockbehandlung hörte«, erklärte ich, »aber anscheinend geht es dir gut.«
    »Zu dem Thema kann ich eigentlich nichts sagen«, entgegnete Holly. »Ich habe die ganze Prozedur einfach verschlafen. Sie haben mich abgeholt, und irgendwann bin ich dann völlig benebelt wieder aufgewacht.«
    »Sie haben behauptet, es sei eine Notmaßnahme gewesen.
    Angeblich warst du plötzlich wieder extrem depressiv.«
    »Ja, das habe ich auch gehört«, meinte Holly.
    »Das klingt, als würdest du über jemand anderen sprechen«, bemerkte ich. »Kannst du dich denn nicht erinnern?«
    »Sie haben zu mir gesagt, es könnte mein Gedächtnis ein bisschen beeinträchtigen, auch wenn ich nicht das Gefühl habe, dass dem so ist.« Sie lächelte bedauernd. »Aber vielleicht habe ich es tatsächlich vergessen.«

    »Das Komische ist«, erklärte ich, »dass ich kurz vor der ersten Elektroschockbehandlung noch mit dir gesprochen habe und dabei eigentlich den Eindruck hatte, dass es dir schon viel besser ging. Du hast zu mir gesagt, dass du, nachdem du …« Es fiel mir schwer, es auszusprechen. »Dass du, nachdem du die Tabletten genommen hattest, plötzlich doch nicht mehr sterben wolltest.«
    »Das stimmt.«
    »Ich hatte eigentlich gehofft, du hättest das alles hinter dir.«
    Holly zuckte mit den Achseln. »Ich bin in dieser Hinsicht nicht gerade eine verlässliche Zeugin, sondern bloß die Frau, die die Elektroden am Kopf hatte.«
    »Ich war sehr überrascht.«
    »Dr.
    Thorne hat Charlie erklärt, welche Faktoren darauf hindeuten, dass ein Mensch suizidgefährdet ist. Ein ganz entscheidender Hinweis liegt vor, wenn man es schon einmal versucht hat, aber das ist ja sowieso klar. Ein weiteres wichtiges Indiz ist, wenn man sich dauernd mit dem Tod beschäftigt. Das hat gar nicht so viel damit zu tun, ob man depressiv ist oder nicht. Man kann hoffnungslos depressiv sein und trotzdem nicht selbstmordgefährdet. Andererseits gibt es aber auch den Fall, dass jemand überhaupt nicht depressiv ist und trotzdem selbstmordgefährdet. Man kann eine Art Obsession dafür entwickeln, fast wie bei einem Hobby. Wie es aussieht, war ich während der letzten Monate eine Mischung aus beiden Varianten, und anscheinend hatte ich wohl auch wieder angefangen, davon zu sprechen.«
    »Und jetzt?«
    »Und jetzt gibt es nichts, was mir ferner liegt.« Holly zog ihren Mantel enger um ihren Körper. »Diese Ziegen sind wunderbar«, sagte sie. »Ich bin, was ihre therapeutische Wirkung betrifft, völlig deiner Meinung. Aber meinst du nicht, dass es manchmal sogar noch effektiver ist, wenn man sich ein warmes, gemütliches Plätzchen sucht und eine Tasse Kaffee trinkt?«

    Wir setzten uns also in ein Café und tranken Kaffee. Holly aß einen Muffin, und wir sprachen darüber, wann sie wieder zu arbeiten anfangen würde. Als ich zu ihr gefahren war, hatte ich mir nichts mehr gewünscht, als dass Holly von nun an ein

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