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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Associates, genial abgeleitet von Krauss, meinem Nachnamen, und Summers, dem von Meg. Wir bezahlten einem alten Kunstschulfreund von Meg fünftausend Pfund, damit er ein Logo für uns entwarf. Sie müssen sich vorstellen, dass das seitliche V, aus dem der Buchstabe K besteht, zugleich den oberen Teil des S bildet, das sich nach unten fortsetzt und dann zurück nach oben schwingt, wo es den geraden Teil des K unten fast wieder berührt. Es ist ziemlich schwer, sich das Ganze vorzustellen, wenn man die Buchstaben nicht vor sich hat. Wir selbst fanden es recht edel, bis uns auf der Party, die wir anlässlich unserer Firmengründung in unserem Büro feierten, jemand darauf hinwies, dass es wie das Rollstuhlzeichen an den öffentlichen Toiletten für Behinder-te aussah. Doch da war es schon zu spät, um noch etwas daran zu ändern, und außerdem fanden Meg und ich, dass einem diese Ähnlichkeit sowieso nur in extrem betrunkenem Zustand auffiel.
    Wie gesagt, ich mag Aufgaben, die unmöglich zu schaffen sind, aber sogar das Unmögliche hat seine Grenzen. In der Vorwoche war eine unserer Angestellten in Mutterschutz gegangen, eine weitere hatte überraschend gekündigt, und uns stand die Organisation zweier Betriebsausflüge bevor, was mir in diesem Moment wie eine schier unüberwindliche Hürde erschien. Während ich zum zweiten Mal an diesem Morgen mit brummendem Schädel und schmerzendem Hals auf dem Bahnsteig der U-Bahn stand und das Gefühl hatte, als schwebte ein drohendes Unheil über mir, begann ich die Aufgaben der beiden fehlenden Frauen neu zu verteilen und einen groben Zeitplan für die kommenden zweiundsiebzig Stunden zu erstellen. Als der Zug aus dem Tunnel auftauchte, schoss mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf: Wäre es nicht schön, wie ein Baum umzufallen und auf den Gleisen zu landen? Dann würde ich nie wieder etwas organisieren müssen. Außerdem würde ich in hundert Jahren sowieso tot sein. Alle auf diesem Bahnsteig würden dann tot sein. Ich würde einfach ein bisschen früher gehen. Im Grab gab es wenigstens keine Kalkulationsta-bellen mehr. Und kein Grau. Nur noch Schwärze oder gar nichts. Womöglich würde ich sogar feststellen, dass tatsächlich so etwas wie ein Himmel existierte, und dort meine alten Wellensittiche und Hamster wiedertreffen, und auch den Hasen und die Katze, die mir als kleines Mädchen gehört hatten. Und ich würde meinen Vater wiedersehen.
    Dann aber sah ich das kantige, unrasierte Gesicht des U-Bahn-Fahrers erschreckend nahe an mir vorbeisausen, und ich versuchte mir die Leute auf dem Bahnsteig aus seiner Perspektive vorzustellen. Hatte er Alpträume, dass eines Tages jemand springen würde?

    Unser Büro besitzt keine Ähnlichkeit mit dem, was mein Vater als normal bezeichnet hätte. Allerdings hat er selbst auch nie in einem normalen Büro gearbeitet. Wir fanden es am Rand von Soho und übernahmen den Mietvertrag von einer Dotcom-Firma, die Pleite gegangen war. Es gibt im Hauptraum weder Trennwände noch andere Raumteiler, noch Türen, nur eine Reihe parallel angeordneter Tische wie in einem kargen Kloster-refektorium. Zusätzlich haben wir einen winzigen so genannten Konferenzraum, aber für gewöhnlich führen wir unsere Kun-dengespräche an einem langen Tisch am Ende des Raums, wo sich eine Art Podium befindet, auf dem im Kloster wahrscheinlich der Abt sitzen würde. Die Beleuchtung besteht aus industriell aussehenden Hängelampen, und jeder hat sein eigenes abschließbares Fach, aber keinen festen Schreibtisch oder Computer – mit Ausnahme von mir, weil ich anscheinend überall, wo ich mich aufhalte, ein solches Chaos hinterlasse, dass kein anderer dort arbeiten möchte. Wir haben die Einrich-tung von der Dotcom-Firma übernommen und es bisher nicht geschafft, etwas zu verändern. Meg und ich haben uns vorgenommen, das Ganze eines Tages in richtige Büroräume mit Wänden umwandeln zu lassen. Aber ich frage mich, ob wir je die Zeit dazu finden werden.
    Um fünf nach acht kam ich dort an, was in Anbetracht der Umstände einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde verdient hätte. Das Büro lag leer und still vor mir. Gut. Mir blieb etwa eine halbe Stunde. Nachdem ich mir rasch einen Kaffee aufgebrüht hatte, machte ich mich an die Arbeit. Plötzlich hörte ich ein Geräusch und drehte mich erschrocken um. Wahrscheinlich irgendetwas draußen auf der Straße. Ich konnte mir ein nervöses Lächeln nicht verkneifen. Im Grunde war ich so eine Art Einbrecher in meinem

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