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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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meines Bewusstseins bahnte. O nein, dachte ich. Bitte nicht.
    Ich spielte einen Moment mit dem Gedanken, mir das Telefon zu schnappen und aus dem Café zu stürmen, aber mein Körper fühlte sich schwer und bleiern an. Du kannst laufen, so schnell du willst, ich erwische dich trotzdem. Das hatte mein Vater immer gerufen, wenn er in dem Park in der Nähe unseres Hauses mit mir Fangen spielte. Diese Worte hatten mir schon damals ein wenig Angst gemacht. Ich entzog ihm meine Hand.
    »Bei Tageslicht genauso schön wie nachts«, sagte er.
    »Es tut mir Leid«, erklärte ich. »Ich weiß nicht … Ich kann mich nicht …«
    »Es braucht dir nicht Leid zu tun.«
    »Ich meine, es war ein dummer Fehler.«
    »Oh, das finde ich nicht«, erwiderte er mit einem Lächeln.
    »Ich heiße übrigens Rees, falls du dich nicht erinnerst.«
    »Ich möchte mich nicht erinnern. Ich war betrunken, das ist alles.«
    »Du warst wild.«
    »Ich gehe jetzt.«
    »Nein, das tust du nicht.«
    Ich streckte eine Hand nach dem Telefon aus, aber er packte mich am Handgelenk und zog mich zu sich heran. »Lassen Sie los!«
    »Erzähl mir nicht, dass du es nicht auch wieder willst. Nicht nach der Nacht, die wir zusammen verbracht haben.«
    »Lassen Sie los!«, wiederholte ich mit Nachdruck.

    »Du wolltest es doch auch, genauso sehr wie ich. Du hast gesagt –«
    »Seien Sie nicht albern.«
    »Du bist verheiratet, oder?«, fragte er und drehte dabei mein Handgelenk herum, bis er meinen Ring sehen konnte. »Mit wem? Wie heißt der arme Trottel? Lass mich raten. Vielleicht David oder Connor oder Fred oder Charlie oder Wesley? Aha, also Charlie, habe ich Recht?«
    »Lassen Sie meine Hand los, Sie Mistkerl!«
    »Ich habe seine Nummer sowieso schon auf meinem Telefon gespeichert. Und ein paar andere auch.«
    Ich zwang mich, ihm in die Augen zu sehen, aber der Gedanke an das, was wir gemacht hatten, ließ eine Welle der Übelkeit in mir hochsteigen. »Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte ich.
    »Lassen Sie mich einfach los.«
    »Und deinen Slip habe ich auch, vergiss das nicht. So ein schwarzes Spitzending.«
    Vor meinen Augen verschwamm alles. Ich versuchte mich loszureißen, aber er hielt mein Handgelenk so fest umklammert, dass sich seine Finger in mein Fleisch bohrten. »Was soll das?«, fragte ich. »Wenn Sie glauben, dass Sie mich erpressen können, dann sind Sie noch dümmer, als Sie aussehen.«
    »Ach ja?«, erwiderte er. »Und wenn du glaubst, du kannst jetzt einfach durch diese Tür verschwinden und so tun, als wäre nichts passiert, dann …«
    Er sprach den Satz nicht zu Ende. Ich holte mit der freien Hand aus und schlug ihm damit, so fest ich konnte, mitten ins Gesicht. Die roten Abdrücke, die meine Finger auf seiner Haut hinterließen, verblassten nur langsam.
    »Du Miststück!«, keuchte er.
    »Entschuldigen Sie, aber wenn Sie sich schlagen möchten«, hörte ich eine Stimme hinter uns, »dann tun Sie das bitte draußen.«
    »Ich gehe schon«, sagte ich. An mein Gegenüber gerichtet, fügte ich hinzu: »Und Sie halten sich besser von mir fern.«
    »Du willst Ärger? Den kannst du haben!«, rief er mir nach, als ich ging. »Du bist im Arsch, das schwör ich dir!«

    6
    Ich wanderte eine Stunde lang in der Gegend herum. Mein Mittagessen bestand aus einer Nektarine, die ich mir auf dem Markt besorgte. Als ich schließlich ins Büro zurückkehrte, kochte ich immer noch vor Wut. Mein Zorn richtete sich nicht nur gegen diesen Mann, sondern auf eine bittere, verächtliche Weise auch gegen mich selbst. Benommen stolperte ich in unseren so genannten Konferenzraum und traf dort auf Meg und Trish, die sich gerade im Flüsterton unterhielten. Als Meg sich umdrehte und sah, dass ich es war, wirkte sie plötzlich verlegen, als hätte ich sie bei irgendetwas ertappt.
    »Ich habe kurz mit Deborah gesprochen«, erklärte sie. »Über die verschiedenen Probleme, die wir im Moment haben.«
    »Deborah?«, fragte ich. »Ich dachte, die ist auf einer Konferenz.«
    »Sie ist früher zurückgekommen als geplant«, schaltete Trish sich ein.
    »Und?«
    »Wir haben sie auf ein paar der Problempunkte angesprochen.
    Wir wollten ihre Seite der Geschichte hören. Sie gab zu, in Verzug geraten zu sein. Sie hatte uns nur deshalb nichts gesagt, weil es Lolas Schuld war.«
    »Was?«
    Lola arbeitete erst seit zwei Monaten bei uns. Sie war jung und engagiert, aber trotz ihrer schnellen Auffassungsgabe ging ihr Zuständigkeitsbereich bisher noch nicht allzu weit über

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