Der Feind in deiner Nähe
versuchen. Vielleicht würde es mir ja gefallen.« Ich bat ihn, mir auch eine zu drehen. Nach ein paar geübten Handgrif-fen reichte er sie mir. Ich schenkte uns noch mal Whisky nach.
»Und was ist mit Ihnen?«
»Mit mir?«
»Was ist Ihre Geschichte?«
Meine Geschichte. Für solche Gelegenheiten hatte ich ein Repertoire an Anekdoten auf Lager, die ich inzwischen relativ schmerzfrei erzählen konnte: die geschäftlichen Bruchlandungen meines Vaters, die mir damals so lustig erschienen waren, rückblickend aber gar nicht mehr so amüsant wirkten. Oder war es vielleicht andersherum? Wurden sie erst lustig, wenn man Anekdoten daraus machte? Oder die beiden Male, als ich von der Schule geflogen war, das erste Mal wegen aufsässigen Verhaltens, das zweite Mal wegen Drogen. Von zu Hause ausgerissen war ich auch einmal: Mit elf hatte ich mir den von allen geliebten Familienhund geschnappt und es immerhin bis ans Ende der Straße geschafft. Das war eine süße Geschichte.
Die hätte ich ihm erzählen können. Aber ich schüttelte den Kopf. »Ein andermal. Jetzt muss ich wirklich ins Bett.«
»Ich hasse es, älter zu werden.«
Innerlich stöhnte ich laut auf. Das war die düsterste Phase der Nacht: die frühen Morgenstunden, prädestiniert für alkoholseli-ge Beichten. »Warum denn das?«
»Es ist einfach alles zum Kotzen. Türen gehen zu, Träume verflüchtigen sich. Die eigenen Kinder behandeln einen, als wäre man von vorgestern. Als ich in Ihrem Alter war, erschien mir alles noch so leicht. Damals betrank man sich und war am nächsten Tag topfit. Mir wird es morgen früh beschissen gehen, aber ich wette, Sie sehen bestimmt taufrisch aus.«
»Apropos morgen früh …«
»Man denkt sich: Und das soll’s jetzt gewesen sein? Das Leben, das ich eigentlich führen wollte. Was ist daraus geworden?«
»Wie alt sind Sie? Vierzig? Einundvierzig? Da ist es doch wirklich noch ein bisschen früh, sich –«
»Und dann ist da noch das Thema Sex.«
»Stuart …«
»Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das erzähle. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie mich nicht auslachen werden. Im Gegensatz zu manchen anderen Leuten. Ich war im Bett immer ziemlich gut, müssen Sie wissen.«
Als wäre Sex so etwas wie Hochsprung oder Kopfrechnen, dachte ich.
»Da gab’s nie irgendwelche Probleme«, fuhr er fort. Er schenkte sich ein weiteres Mal nach und leerte das Glas in einem Zug. »Erst in den letzten paar Jahren.«
»Ah«, sagte ich so neutral wie möglich.
»Nun ja, ich kann nicht mehr so – Sie wissen schon –, ich kann mich nicht mehr auf meinen Körper verlassen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich denke schon.«
»Das ist ein richtiger Teufelskreis – je weniger Selbstvertrauen ich habe, desto mehr wird das Ganze zum Problem. Ihr Frauen könnt euch gar nicht vorstellen, wie das ist.« Er lief knallrot an.
»Früher hatte ich mich immer so gut unter Kontrolle. Jetzt ist es
… na ja, es ist zu schnell vorbei. Wissen Sie, was ich meine?«
Ich beschränkte mich auf ein vages Brummen.
»Jetzt halten Sie mich bestimmt für einen erbärmlichen Versager.«
»Nein, überhaupt nicht. Ich wette, viele von Ihren Kumpels haben schon ähnliche Phasen durchgemacht, auch wenn sie nie darüber reden.«
»Meinen Sie?«
»Ganz bestimmt.«
»Ich denke mir die ganze Zeit, dass es irgendwo da draußen eine Frau geben muss, die mir darüber hinweghelfen kann. Ich habe auch schon ein bestimmtes Bild im Kopf. Es müsste eine sein, die äußerlich ganz kühl und beherrscht wirkt.«
Wenigstens dachte er nicht an mich.
»Die aber unter der kühlen Schale aufgewühlt und leiden-schaftlich ist.«
»Also …«, begann ich.
»Ich hätte meine Frau damals nicht betrügen sollen. Dann wäre mir das wahrscheinlich nie passiert. Vielleicht bekomme ich nur, was ich verdient habe. Vielleicht ist es die gerechte Strafe, dass Gott mich jetzt zum Gespött der Leute macht.
Haben Sie Ihren Mann jemals betrogen?«
»Nein.« Irgendwie schaffte ich es, durch meinen Tonfall meine Entrüstung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass er mich das überhaupt zu fragen wagte, und fügte hinzu: »Wir sind erst seit gut einem Jahr verheiratet.«
»Wie heißt er?«
»Charlie.«
»Ich hoffe, Charlie weiß, was für ein Glückspilz er ist.«
Meg setzte mich kurz nach neun zu Hause ab. Sie sagte, sie wolle nicht mehr mit reinkommen, schließlich hätten wir uns dieses Wochenende schon lange genug gesehen, aber dann begleitete sie mich doch noch
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