Der Feind in deiner Nähe
das Kreuzworträtsel nicht mehr sehen konnte.
Kaum war ich im Büro, rief Meg an. Ihre Stimme klang belegt.
»Holly, ist es in Ordnung, wenn ich heute zu Hause bleibe?
Ich fühle mich hundeelend.«
»Natürlich, kein Problem«, antwortete ich. »Am besten, du legst dich mit einer Wärmflasche ins Bett. Kann ich irgendwas für dich tun?«
»Es ist wahrscheinlich nur ein Schnupfen plus Erschöpfung.
Ich kann einfach nicht so durchpowern wie du. Aber morgen bin ich wieder da. Das Problem ist nur, dass ich heute eigentlich in das Kaff bei Bedford rauffahren wollte, um mir unsere dortige Location anzusehen. Vielleicht können wir das verschieben. Ich glaube nicht, dass es so dringend ist.«
Im Geiste begann ich bereits, meine Termine neu zu organisieren. Vormittags hatte ich ein Gespräch mit einer Gruppe von Unternehmensberatern, aber das überschnitt sich nicht mit Megs Termin. Und die Besprechung mit den Computerleuten ließ sich nach hinten verlegen. »Das kann ich übernehmen.«
»Bist du sicher? Eigentlich möchte ich dir das nicht auch noch aufhalsen. Du arbeitest sowieso schon viel zu viel.«
»Nein, ehrlich. Das geht schon. Kein Problem. Überlass es einfach mir.«
Ein paar Jahre zuvor war ich mal längere Zeit solo und wurde –
obwohl ich mit meinen vierundzwanzig Jahren eigentlich noch nicht als alte Jungfer gelten konnte – ständig von Freunden eingeladen, die glaubten, jemanden gefunden zu haben, der mir wahrscheinlich gefallen würde. Diese Abende verliefen meist nicht sehr erfolgreich. Ich bin nicht besonders gut im Umsetzen von Plänen. Erfahrungsgemäß hat es keinen Sinn, nach den wirklich wichtigen Dingen im Leben bewusst Ausschau zu halten. Sie passieren am Rande unseres Gesichtsfelds, wenn wir glauben, gerade etwas ganz anderes zu tun. Deswegen war ich jedes Mal, wenn mir eröffnet wurde, dass X genau mein Typ sei, ein wenig entrüstet darüber, dass andere Menschen sich einbil-deten, genau zu wissen, welcher Typ zu mir passte. Meist endete so etwas damit, dass ich mich höchst angeregt mit der verheira-teten Frau mir gegenüber unterhielt und den wahrscheinlich sehr netten jungen Mann, der an meiner Seite platziert worden war, völlig ignorierte. Noch schlimmer fand ich es, wenn Freunde auf etwas subtilere Weise ans Werk zu gehen versuchten und ich nicht merkte, was sie im Schilde führten – oder erst Wochen später. Dann fühlte ich mich immer wie ein Fisch, der nicht angebissen hatte, weil ihm gar nicht klar gewesen war, dass es etwas zum Anbeißen gab. In einem Fall kam mir die Erleuch-tung im Nachhinein, als ich gerade im Begriff war, eine Kaffeetasse an den Mund zu führen. Ich hielt mitten in der Bewegung inne und sagte zu mir selbst: »Also das war der Grund für diese Einladung!«
Gelegentlich lief das Ganze auch andersherum. Ich war mal zum Abendessen bei einer Frau eingeladen, die ich eigentlich nur flüchtig kannte. Die drei oder vier anderen Gäste hatte ich überhaupt noch nie gesehen. Es handelte sich um einen jener seltenen Abende, an denen alles stimmte. Neben mir saß ein absolut umwerfender Mann, in jeder Hinsicht so perfekt, dass er mir fast wie eine Figur aus einem dieser lächerlichen Pornofilme vorkam. Er machte irgendeinen Traumjob, die Organisation von Segelregatten rund um die Welt oder so was in der Art, und war groß und braun gebrannt. Sogar an seinen Namen kann ich mich noch erinnern: Glenn. Ich nahm mir vor, ihn noch am selben Abend dazu zu bringen, sich unsterblich in mich zu verlieben, und zeigte mich von meiner besten Seite. Es schien, als könnte ich doppelt so schnell denken wie alle anderen, ich war ihnen stets einen Schritt voraus. Ich fühlte mich, wie sich wahrscheinlich eine Schauspielerin fühlte, wenn eine Aufführung besonders gut gelang und sie wusste, dass sie ihr Publikum im Griff hatte.
Als ich ging, glaubte ich, gerade den schönsten Abend meines Lebens verbracht zu haben. Ich war glücklich, und die Tatsache, dass ich das auch merkte, verstärkte dieses Glück.
Auf dem Heimweg fiel mir ein, dass ich Glenns Telefonnummer nicht hatte, und er meine auch nicht, aber das war ja kein Problem. Er konnte sich von unserer gemeinsamen Bekannten meine Nummer geben lassen, und Jahre später würden wir uns an jenen Abend erinnern und darüber lachen, wie wir uns kennen gelernt hatten – fast wie im Film. Auf jeden Fall war es ein so außergewöhnlicher Abend gewesen, dass wir uns wahrscheinlich alle bald wieder treffen würden. Ich schickte
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