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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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schlug ich die Augen wieder auf und warf einen Blick auf meine Uhr. Viertel nach zwölf. Das seltsame Dröhnen in meinem Kopf schien sich gelegt zu haben. Ich erhob mich, schlüpfte wieder in die Schuhe, nahm den Mantel und verließ die Kabine. Nachdem ich mir vor dem kleinen Spiegel Hände und Gesicht gewaschen hatte und mir mit einer Bürste durchs Haar gefahren war, marschierte ich zurück ins Büro.
    »Wir haben einen Brief von Deborahs Anwalt bekommen. Er droht uns wegen ihrer unfairen Entlassung mit rechtlichen Schritten«, eröffnete mir Meg, als ich ihr gegenüber Platz nahm.
    »Ist das ein Problem?«
    »Ich habe Chris gebeten, heute Nachmittag vorbeizuschauen, damit wir darüber sprechen können.«
    »Womöglich habe ich damit den Ruin über die Firma gebracht«, sagte ich. »Es tut mir Leid.«
    »Und gleich kommt jemand, der dich sehen möchte.«
    »Wer denn?« Verblüfft begann ich, meinen Terminkalender durchzublättern.
    »Er hat mir seinen Namen nicht genannt. Nur dass er hier sei, um Holly Krauss zu sehen. Ich habe angenommen –«
    »Ist schon in Ordnung.«
    Aber es war nicht in Ordnung. Rees lächelte mich unverwandt an, während er quer durch den Raum auf mich zukam. Sofort stieg ein Gefühl der Übelkeit in mir auf.
    »Hallo, Holly.«
    Ich spürte, dass mehrere neugierige Augenpaare auf uns gerichtet waren.
    »Ich habe Ihnen nichts zu sagen«, erklärte ich kalt. »Bitte gehen Sie.«
    »Oh, ich bin eigentlich gar nicht deinetwegen hier. Ich hatte nur gerade nichts Besseres zu tun und wollte mal sehen, wo du arbeitest. Damit ich ein Gefühl dafür bekomme, wie du lebst. Du weißt schon. Und Sie müssen Meg sein.«
    »Das ist richtig. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    »Wir haben gestern Abend miteinander telefoniert. Erinnern Sie sich?«
    »In diesem Fall glaube ich, dass Holly Recht hat und Sie auf der Stelle gehen sollten«, antwortete sie absolut souverän. »Oder soll ich die Polizei rufen?«
    »Hier arbeiten nur Frauen, oder?«
    Meg griff nach dem Telefon.
    »Keine Sorge«, sagte er. »Ich gehe ja schon.« Er sah mich einen Moment schweigend an, dann kniff er mich so fest in die Wange, dass es wehtat. »Ich warte auf deinen Anruf, Holly.
    Aber lass mich nicht zu lange warten. Und bilde dir bloß nicht ein, dass du mich wieder loswirst.«

    Auf wundersame Weise glitten die Zahlen und Daten auf meinem Bildschirm an die richtigen Stellen. Wie schaffte ich das nur? Ich spürte, dass Meg mich immer noch musterte.
    »Was ist?«
    »Dieser Mann. Er ist gefährlich.«
    »Ach, das glaube ich nicht. Er ist bloß ein Widerling.«
    »Holly, hörst du dich eigentlich selbst?«
    »Nein.«
    »Hast du es Charlie schon gesagt?«
    »Meg, weißt du, wie es ist, wenn eine Maschine gut läuft, weil die Zahnräder sich reibungslos drehen und alles schön geölt ist, sodass du das Gefühl hast, du könntest endlos so weiterarbeiten?
    Dann kommt dieser Rees daher und ist wie ein überflüssiger Bolzen, den jemand in deine perfekt laufende Maschine geworfen hat, und du weiß genau, wenn du ihn nicht sofort wieder hinausbeförderst, wird bald ein schreckliches metallisches Quietschen zu hören sein, und aus der Maschine werden dir Funken und Metallteile entgegenfliegen, bis das Ganze am Ende knirschend und quietschend zum Stillstand kommt. Kennst du dieses Gefühl?«
    »Demnach hast du es Charlie also noch nicht gesagt.«
    »Nein. Und das habe ich auch nicht vor … Was ist? Du meinst doch nicht allen Ernstes, dass ich das tun sollte?«
    Meg sah mich an. Ich versuchte ihre Gedanken zu lesen, aber es gelang mir nicht. Schließlich wandte sie den Blick ab und begann mit den Fingern auf ihrer Schreibtischplatte herumzu-trommeln. »Manchmal«, sagte sie so leise, dass ich mich anstrengen musste, sie zu verstehen, »ist es besser, die Karten offen auf den Tisch zu legen.«
    »Manchmal ja«, antwortete ich. »Aber manchmal auch nicht.«

    »Holly …« Sie zögerte.
    »Ja?«
    »Ach, nichts. Auf jeden Fall solltest du die Polizei anrufen.«
    »Nein.«
    »Du willst das einfach ignorieren? Glaubst du, es hört von selbst wieder auf?«
    Ich überlegte einen Moment. »Ich glaube, die meisten Dinge hören von selbst wieder auf, wenn man sie nur lange genug ignoriert.«

    9
    Manchmal habe ich Angst einzuschlafen. Es ist zu sehr wie sterben. An diesem Abend wagte ich die Augen nicht zu schließen, obwohl mir vor Erschöpfung schon ganz schummrig war. Ohne Appetit stocherte ich in etwas herum, das Charlie für uns hatte kommen

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