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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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mir genommen. Ich war herumgelaufen, hatte unersättlich von allem gekostet und nun das Gefühl, dass es mich krank gemacht und alles Gute aus mir herausgepresst hatte. Alle meine Handlungen erschienen mir nur noch schlecht, und zwar in jeder Hinsicht. Meine widerliche Nacht mit … Ich versuchte, weder an seinen Namen noch an sein Gesicht zu denken, aber dann zwang ich mich, es als eine Art Buße doch zu tun. Ich konnte überhaupt nicht mehr nach-vollziehen, wie ich hatte zulassen können, dass jemand all das mit mir tat. Das Wissen, dass dieser Mann nun ein Teil meines Lebens war, erfüllte mich mit großer Angst. Er hatte mich bereits im Büro belästigt und mir meinen Slip geschickt, und ich wusste, dass es noch schlimmer kommen würde.
    Der Rest meiner jüngeren Vergangenheit hatte sich nicht ganz auf diesem Niveau abgespielt, war aber möglicherweise davon beeinflusst worden. Ich schien durch meine Tage gestürmt zu sein, ohne nachzudenken – wie ein Mensch, der am Rande eines Abgrunds dahinlief. Nun endlich wagte ich es hinunterzublicken. Alles sah plötzlich ganz anders aus, als es mir zu der betreffenden Zeit erschienen war. Einiges stach mir als besonders schlimm ins Auge: das Fenster, das zu Bruch gegangen war, der Mann, den ich geschlagen hatte. Rückblickend schien es mir, als hätte ich mein halbes Leben damit zugebracht, Menschen anzuschreien, Streit anzuzetteln oder einfach nur laut vor mich hin zu quasseln. Und was war mit der unglückseligen Deborah, die ich so überstürzt gefeuert hatte? Was wollte ich damit erreichen? Ich hatte mich mit der ganzen Situation nicht richtig auseinander gesetzt, wollte lediglich vor Meg eine Show abziehen, um ihr zu zeigen, dass ich etwas konnte, was ihr nicht gelang. Im Grunde war das Ganze aus purer Angabe geschehen, und nun wurde ich dafür bestraft.
    Ich startete ein Experiment, versuchte herauszufinden, ob ich mich in letzter Zeit auch mal auf eine Weise benommen hatte, die mir nicht gleich ein ungutes Gefühl verursachte. Da war beispielsweise mein Verhalten gegenüber Charlie, das ja an sich schon ein riesiges Problem darstellte. Ich hatte ihn belogen, betrogen, versetzt. War womöglich auch mein Bemühen, ihm bei seiner blöden Steuererklärung zu helfen, für mich nur ein Weg gewesen, ihm zu zeigen, dass ich – abgesehen von allem anderen – auch seine eigene Arbeit besser machte als er selbst?
    Beim Gedanken an meine Arbeit kam mir sofort die Galle hoch, und einen Moment lang war ich kurz davor, mich zu übergeben. Mein Job hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Table-Dancing: Ich sorgte dafür, dass die Kerle ihren Spaß hatten, und wusste genau, wie ich sie dazu bringen konnte, mir im übertragenen Sinn die Zehn-Pfund-Noten unter den String zu schieben.
    Das war nichts, worauf man stolz sein konnte. Ganz im Gegenteil. Einen Moment lang stellte ich mir dieses Bett in Archway als mein Totenlager vor. Wenn ich hier am Ende meines Lebens läge, wie würde ich dann auf meine berufliche Laufbahn zurückblicken? Ich hatte erschöpfte Businessmenschen unterhalten und dafür gesorgt, dass sie mit einem etwas besseren Gefühl in ihre beschissenen Firmen zurückkehrten. Dabei wäre es wahrscheinlich sinnvoller gewesen, ihre Büros in die Luft zu sprengen. Alles wäre sinnvoller gewesen als der Job, den ich machte. Am besten, ich schmiss alles hin, gab das Haus an die Baufirma zurück und erlernte einen ordentlichen Beruf.
    Über diese Idee musste ich fast selbst lachen. Mir fiel die Zeile aus »Goodbye Yellow Brick Road« ein, in der es darum ging, wieder das Land zu bestellen. Ja, genau. Das war die Lösung für all meine Probleme, und diese Lösung war noch lächerlicher als mein Leben selbst: Charlie würde Klempner werden und ich Tischlerin.
    Allmählich nervten mich meine eigenen Gedanken derart, dass ich beschloss, doch aufzustehen. Ich ging unter die Dusche, wusch mir das Haar und kratzte mir bei der Gelegenheit mit den Nägeln die Kopfhaut auf. Hinterher suchte ich erst in unserem Badezimmerregal und dann im Schrank mit all meinen lächerlichen Cremes und Lotionen nach der Nagelschere, konnte sie aber nicht finden. Ich rief zu Charlie hinunter, ob er wisse, wo sie sei, worauf er irgendetwas zurückschrie, auf das ich ihm eine pampige Antwort gab. Charlies Angewohnheit, die Nagelschere überall außer im Bad zu benutzen, steht auf meiner Liste seiner zwanzig schlimmsten Macken ungefähr auf Platz vierzehn. Eine Folge davon ist, dass sich im Bett ständig

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