Der Feind in deiner Nähe
gleich weiter nach Leicester, meine Liebe. Außerdem glaube ich nicht, dass das geht. Sie haben dafür bezahlt, jetzt gehört es Ihnen. Wo sollen wir es hinstellen?«
Es waren drei Männer nötig, um es in unser Wohnzimmer zu schleppen. Obwohl es gar nicht so groß wirkte, wog es unglaublich viel. Als sie dann mit einer schwungvollen Bewegung die Plane wegzogen, verschlug es Charlie die Sprache.
»Lieber Himmel!«, rief Naomi. »Was um alles in der Welt soll denn das sein?«
Ich konnte mich nicht daran erinnern, welche Skulptur ich gekauft hatte. Sie bestand aus mehreren alten Maschinenteilen, die in seltsamen Winkeln zusammengeschweißt und dann auf eine Plinthe montiert worden waren. Auf jeden Fall war das Ding extrem hässlich und viel zu groß für den schmalen Raum.
Charlie sagte noch immer nichts. Erst als die Männer gegangen waren und die Tür hinter sich zugezogen hatten, fragte er:
»Was ist das?« Seine Hände waren zu Fäusten geballt.
»Ich fürchte, das war so eine Schnapsidee von mir«, erklärte ich fröhlich. »Puh!«
Er griff nach dem Durchschlag der Rechnung, die ich unter-schrieben hatte. »Um Gottes willen, Holly.«
»Wie viel?«, fragte ich.
»Heißt das, du weißt es nicht?«
»Ich werde das Ding zurückgeben.«
»Natürlich wirst du das. Wenn sie dich lassen. Woher willst du wissen, dass sie es zurücknehmen? Ich würde es jedenfalls nicht zurücknehmen. Warum hast du es überhaupt gekauft? Was hast du dir dabei gedacht?«
»Ich fand es irgendwie witzig.« Sozusagen als Bekräftigung stieß ich ein kleines Lachen aus. »Und vielleicht ist es ja eine Investition. Wer weiß?«
Charlie war vor Wut ganz weiß geworden. Die Rechnung zitterte in seiner Hand, als würde in unserem Wohnzimmer ein Wind gehen. Er konnte kaum sprechen. »Wir haben eine extrem hohe Hypothek abzuzahlen«, stieß er hervor. »Wir haben bei der Angabe unserer Einnahmen ziemlich geschummelt, um sie zu bekommen. Ich verstehe das nicht.«
Wir starrten alle auf das scheußliche Objekt in unserem Wohnzimmer.
»Ich glaube, wir sollten jetzt gehen«, erklärte Meg, aber sie und Naomi blieben weiter wie angewurzelt stehen.
»Was soll das, Holly? Was, zum Teufel, ist bloß mit dir los?
Sag es mir! Sag es mir! «
Ich betrachtete die Skulptur, und zum ersten Mal an diesem Tag erschien mir etwas lustig. Zu meinem eigenen Entsetzen begann ich zu lachen. Und nachdem ich einmal damit angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören.
12
Meg hasst den November. Sie sagt, er sei der Korridor des Jahres: eine grimmige, enge Zeit, durch die man durchmuss, um anderswohin zu gelangen. Den Februar hasst sie auch. Das Grau, die Kälte, die harte Erde, die kahlen Bäume, die kurzen, farblosen, trüben Tage. Ich selbst habe das nie wirklich nach-vollziehen können. Jahreszeiten sind etwas für Bauern und Gärtner. Meiner Meinung nach zählt mehr das Wetter in unseren Köpfen, und in der dritten Novemberwoche, als gerade ein feiner Nieselregen die Straßen nass glänzen und die Luft wie gemasert aussehen ließ, wurde der Himmel in meinem Kopf plötzlich wolkenlos blau, und die Sonne begann zu strahlen.
Manchmal passiert das einfach so. Wochenlang hatte ich mich wie ein blinder, langsamer, erdverkrusteter alter Maulwurf durch den Tunnel der Tage gegraben, und nun war ich ohne Vorwar-nung an der Oberfläche aufgetaucht und starrte halb benommen in das wunderschöne Licht.
Ich zog die Vorhänge auf und ließ den Morgen herein. Drau-
ßen war es so neblig, dass die Formen der Häuser und Bäume verschwammen und der Verkehrslärm viel gedämpfter klang als sonst. Vertraute Dinge wirkten plötzlich geheimnisvoll. An einem Tag wie heute konnte alles Mögliche passieren.
»Wach auf, Charlie, es gibt Kaffee.« Ich ließ mich auf der Bettkante nieder und legte eine Hand auf seine warme Schulter.
Da er sich nicht rührte, schüttelte ich ihn leicht. »Es ist halb acht. Du hast gesagt, du musst spätestens um acht weg.«
Er murmelte etwas und verschwand tief unter der Bettdecke.
»Sollen wir uns heute Mittag zum Essen treffen? Ich lade dich ein.«
»Ich bin schon verabredet«, antwortete er unter der Decke.
»Erst mit der Buchhalterin und dann mit dem Redakteur vom Correspondent. «
Mit der Buchhalterin. Das klang recht hochtrabend, aber in Wirklichkeit handelte es sich um Tina, die Meg geholfen hatte, das Buchhaltungsprogramm für KS einzurichten.
»Dann führe ich dich eben hinterher aus«, erklärte ich.
Er kam unter der
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