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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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konnte ja wohl nicht schaden, oder?
    Ich stand auf und ging zur Toilette, wo ich mich vor den Spiegel stellte und mir die Lippen nachzog. Dann band ich mir das Haar zu einem eleganten Knoten zusammen und betrachtete mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich wollte aussehen wie eine Femme fatale in einem film noir aus den vierziger Jahren. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich in einem Treppenhaus stehen, die Schattenstreifen einer Jalousie auf dem Gesicht. Ich wollte hohe Pfennigabsätze und einen engen Rock tragen und angesichts von Schmerz und Gefahr nur lässig mit den Schultern zucken.

    13
    Ich verstaute meine Farbdosen auf den Rücksitz des Taxis und nahm dann daneben Platz. Als ich in den darauf folgenden Tagen auf diesen Abend zurückblickte, war das der letzte zusammenhängende Teil, an den ich mich erinnern konnte. Ich saß mit Stuart und seinem Freund Fergus im Taxi. Stuart war guter Laune, aber ziemlich zurückhaltend und vermutlich überrascht, dass ich mitkam. Vielleicht hatte er sich auch wieder daran erinnert, wie unerwartet unser Besuch in der Ausstellung ausgegangen war, sodass er sich mittlerweile ein wenig in Acht nahm. Das Gesicht von Fergus lag größtenteils im Dunkeln, aber ich konnte erkennen, dass er sehr dünn und knochig war und eine schlaffe Haut hatte.
    Als er mir eine Zigarette anbot, griff ich danach, und im plötzlich aufflammenden Licht des Feuerzeugs sah ich sein bleiches, leichenhaftes Gesicht. Einen Moment lang war ich versucht, den Fahrer zu bitten anzuhalten und mich aussteigen zu lassen, aber der Moment ging vorüber – oder grub sich in mein Gehirn ein.
    »Wo fahren wir eigentlich hin?«, fragte ich.
    »Wandsworth.«
    »Das kenne ich nicht.«
    Von da an lief der Abend ab wie ein Stück altes, beschädigtes Filmmaterial: Der Ton fällt aus und setzt wieder ein, einzelne Teile sind in Schwarzweiß oder laufen in der falschen Ge-schwindigkeit ab, manche Bilder wirken verschwommen, ganze Szenen fehlen. Von dem Haus sind mir nur ein paar Einzelheiten in Erinnerung geblieben: ein riesiger Plasma-Fernsehbildschirm, ein Ledersofa, ein billiges, »dezent erotisches« Bild an der Wand – eine Frau, die einen Strumpf von einem weißen Bein zieht, während ein Mann sie aus einer dunklen Ecke heraus beobachtet. In der Küche steht ein Kühlschrank aus schimmern-dem Edelstahl.

    Es sind bereits fünf Männer, und sie trinken Scotch. Alle haben Anzüge an, aber nur einer, ein fetter Typ mit rotem Gesicht, trägt zu seinem Anzug auch eine Krawatte. Ihm gehört das Haus, und er ist der Veranstalter dieses Pokerspiels. Fergus kenne ich bereits. Ein anderer heißt Tony. Stuart hat mir während der Herfahrt im Taxi von ihm erzählt. Er betreibt eine Baufirma, aber Stuart deutet zwinkernd an, dass er auch noch andere Interessen habe.
    »Du meinst kriminelle?«
    Stuart lacht. »Tony macht seine Geschäfte nicht immer auf legalem Weg«, erklärt er.
    Offensichtlich ist es Stuart ein Anliegen, mich wissen zu lassen, dass er Leute wie Tony kennt. Als Stuart mich ihm ziemlich überschwänglich vorstellt, sagt Tony kaum ein Wort.
    Er ist groß und hat breite Schultern. Ich schüttle seine Hand. Er mustert mich einen Moment neugierig. Ich bin die einzige Frau hier. Plötzlich habe ich das berauschende Gefühl, in eine Welt zu entfliehen, wo man ganz andere Dinge tut.

    *
    Sie spielen Poker. Es liegt kein Geld auf dem Tisch, nur bunte, zu Stapeln aufgetürmte Chips. Ich stelle mich hinter Tony und blicke ihm eine Weile über die Schulter. Ich habe einen Drink in der Hand, lasse die Eiswürfel klirren. Ich gehe um den Tisch herum und sehe mir die Karten an. Das gefällt mir. Die gemur-melten Gebote, die konzentrierten Gesichter der Männer, die besonderen Ausdrücke, die sie benutzen. Allmählich kommt es wieder. Ich beherrsche dieses Spiel. Irgendwann war ich darin einmal sehr gut.

    Stuart sitzt auf der anderen Seite des Tisches. Er sagt, ich solle zu ihm hinüberkommen und ihm Glück bringen. Ich antworte, von meinem Platz aus hätte ich einen recht guten Blick. Stuart spricht auf besitzergreifende Weise von mir. Wahrscheinlich halten mich die anderen für seine Freundin, und er unterlässt es, das richtig zu stellen. Er sagt mir, dass ich aussähe wie eine Gangsterbraut. Dieser Gedanke ist mir selbst auch schon gekommen, und ich fand ihn zunächst sehr amüsant, aber nun, da Stuart ihn laut ausgesprochen hat, erscheint er mir überhaupt nicht mehr lustig.

    Ein Handy klingelt. Tony geht. Irgendetwas

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