Der Feind in deiner Nähe
Decke hervor, richtete sich halb auf, griff nach der Tasse und legte die Hände darum. Ließ den Dampf in sein Gesicht steigen. »Ich habe Sam und den anderen versprochen, dass ich mit ihnen auf einen Drink gehe.«
»Schade«, sagte ich. »Ich wollte mit dir feiern.«
»Was denn? Heute ist doch nicht mein Geburtstag, oder?«
»Einfach nur feiern. In welcher Farbe sollen wir diesen Raum streichen?«
»Was?«
»Darüber habe ich mir heute Nacht schon den Kopf zerbrochen. Für die Küche nehmen wir einen Gelbton, habe ich mir gedacht, aber natürlich nicht so ein schreckliches, grelles Gelb, sondern einen weichen, buttrigen, gefälligen Ton, und hier drin vielleicht Terrakotta. Wie die Dachziegel eines italienischen Hauses. Oder ein grünliches Grau. Was meinst du? Sexy oder beruhigend? Ich werde die Farbe besorgen und am Samstag oder sogar schon eher anfangen. Ich hab noch ungefähr hundert Tage Urlaub gut. Wenn ich erst einmal begonnen habe, geht’s bestimmt ganz schnell. Du brauchst mir nicht zu helfen. Ich weiß, in letzter Zeit hab ich die Dinge ein bisschen schleifen lassen, aber dafür möchte ich mich jetzt besonders intensiv um dich kümmern. Was ich hasse, sind die ganzen Vorbereitungen.
Du weißt schon. Statt gleich loslegen zu können, muss man erst mal die Fußleisten säubern, den Boden mit Papier abdecken und die Regale ausräumen. Das nervt genauso wie diese dämlichen Gebrauchsanweisungen, die man studieren muss, bevor man etwas aufbaut oder in Betrieb nimmt. Eines habe ich mir geschworen: Ich werde in meinem ganzen Leben nie wieder eine Gebrauchsanweisung lesen. Trish hat erst gestern zu mir gesagt, dass man, wenn man die Wohnung streicht, vorher sämtliche Holzleisten und Fensterrahmen abkleben soll, damit man saubere Kanten bekommt. Das erscheint mir völlig übertrieben.
Manchmal denke ich, Trish hätte zur Armee gehen sollen. Ich hatte immer schon sehr ruhige Hände.«
Ich streckte meine linke Hand aus. »Sieh dir das an!« Meine Hände zitterten richtiggehend.
»Das war früher nie so«, sagte ich. »Gut dass ich kein Gehirn-chirurg bin, sonst würde ich womöglich ganze Motorikbereiche lahmlegen. Vielleicht trinke ich zu viel Kaffee. Oder zu wenig.
Koffeinentzug?«
Charlie ließ sich mit seiner Antwort Zeit. »Gelb?«, fragte er schließlich.
»Was?«
»Ich hab versucht, deinem Gedankengang zu folgen, bin aber irgendwo ziemlich am Anfang hängen geblieben. Wie lange, glaubst du, könntest du so vor dich hinreden, ohne von deinem Gegenüber eine Antwort zu kriegen?«
»Was? Oh, tut mir Leid. Soll ich dir Toast machen? Toast mit Marmelade? Ich könnte sogar ein Hemd für dich bügeln.«
»Lügnerin«, sagte er, und ich begann zu kichern. Dann schlug mein Kichern in ein seltsames, prustendes Lachen um, das ich nicht kontrollieren konnte.
Er schwang die Füße aus dem Bett und hievte sich hoch. Nackt und muskulös stand er vor mir. Ich streckte den Arm nach ihm aus und legte meine Hand an seinen warmen, goldbraunen Rücken. »Das viele Laufen tut dir gut«, stellte ich fest. »Wie wär’s, wenn du ein bisschen später losgehst?«
»Heute nicht.«
»Dann ein anderes Mal.«
Während er in seine Jacke schlüpfte, begann das Handy in der Tasche seine dämliche Melodie zu dudeln. »Hallo?«, meldete er sich. »Ja? Nein, acht ist wunderbar. Natürlich. Ich werde da sein.« Sein Gesicht entspannte sich zu einem intimen kleinen Lächeln. Spätestens jetzt war mir klar, dass er mit einer Frau sprach. Prompt nahm er das Telefon in die andere Hand und drehte sich halb von mir weg. »Ich werde pünktlich sein.«
Plötzlich hatte ich das Gefühl, einen Fremden zu beobachten, einen gut aussehenden Fremden mit Krähenfüßen um die Augen.
»Für wen wirst du pünktlich sein?«, fragte ich, nachdem er das Telefon wieder in seiner Brusttasche verstaut hatte und vor dem Spiegel an seinem Krawattenknoten herumzupfte.
»Für niemand Besonderen. Für Sam und die anderen.«
»Du darfst flirten, aber dich nicht in eine andere verlieben.«
Die Worte waren draußen, bevor ich sie zurückhalten konnte.
Während sie in meinen Ohren nachhallten, zuckte ein Gefühl von Panik wie ein Blitz durch meinen Körper. Wie konnte ich nach allem, was ich getan hatte, so etwas zu ihm sagen und es dann auch noch so meinen? Wie konnte ich etwas dagegen haben, wenn Charlie sich heute Abend in einem Restaurant über den Tisch beugte und einer anderen Frau in die Augen sah, nachdem ich selbst zugelassen hatte, dass
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