Der Feind in deiner Nähe
und leichtsinnig. So siehst du das doch, oder?«
»Tut mir Leid.«
»Was meinst du, wie das für mich ist? Du stehst vorn, auf der Bühne, und ziehst eine Show ab, während die gute alte Meg immer hinter den Kulissen zugange ist, wo keiner sieht, wie sie die Scherben aufsammelt und alles ausbügelt, was du angerichtet hast.«
Der ganze Groll, der sich in ihr aufgestaut hatte, sprudelte jetzt aus ihr heraus. Ich wusste, dass es durchaus einiges gegeben hätte, was sich dagegenhalten ließ. Zum Beispiel, dass ich fast ein ganzes Jahr lang jeden Tag bis zu zwanzig Stunden gearbeitet hatte, und das sieben Tage die Woche. Ich hatte einen Großteil der wirklich harten Arbeit geleistet, indem ich eine Menge Kunden für uns an Land zog und intensiv betreute.
Aber im Moment war ich viel zu müde, um mich zu rechtfertigen. Es spielte keine Rolle. Meg war so richtig in Fahrt.
»Holly, du solltest das Ganze mal objektiv betrachten. Du hast eine Frau entlassen, weil dir gerade danach zumute war, und nun müssen wir uns mit den Folgen herumschlagen. Du hast mit einem Mann geschlafen, der jetzt ständig im Büro anruft und Leute belästigt. Du becirct die Kunden mit deinem Charme, oder du beleidigst sie. Du schläfst an deinem Schreibtisch oder auf der Toilette ein – glaub bloß nicht, dass wir das nicht mitbekommen –, und dann schlägst du dir wieder die ganze Nacht um die Ohren. Du bist wie ein Kleinkind, das nach allem greift, was ihm ins Auge sticht, und es dann einfach wieder fallen lässt, wenn ihm langweilig wird. Und Charlie behandelst du auch schlecht.«
»Charlie ist meine Sache«, entgegnete ich müde. »Nur weil du
–« Ich brach abrupt ab und hielt mir vorsichtshalber auch noch eine Hand vor den Mund, um die Worte zurückzuhalten.
»Was? Nur weil ich was? Raus damit! Ich weiß genau, was du sagen wolltest. Nur weil ich auch mal in ihn verliebt war.
Stimmt, das war ich, und du hast es gewusst. Aber er hat sich in dich verliebt, wie es alle Männer tun, stimmt’s?«
»Das wollte ich nicht sagen«, antwortete ich lahm. Jede Spur von Zorn war verschwunden. Traurig betrachtete ich Megs bleiches, verschlafenes Gesicht, ihre zerzausten Haare, ihre gerunzelte Stirn.
»Hast du dir eigentlich schon jemals Gedanken über mich gemacht?«
»Über dich?«
»Ja. Mich. Ist dir aufgefallen, dass ich in letzter Zeit oft ein wenig niedergeschlagen bin? Dass mein Leben nicht nach Plan läuft? Dass ich mir ein bisschen Sorgen mache? Nein, natürlich nicht, weil deine persönliche Berg-und-Tal-Fahrt dir gar keinen Raum lässt, die ganz normalen, weniger dramatischen Stimmungen anderer Menschen zu registrieren.«
»Das ist nicht wahr.«
Sie stand auf und zog den Gürtel ihres grauen Bademantels enger. »Ich werde jetzt ein Bad nehmen, falls du nicht das ganze heiße Wasser aufgebraucht hast, und mich dann allmählich auf meinen Tag vorbereiten. Lass dir ein Taxi kommen, und zieh bitte die Tür hinter dir zu, wenn du gehst.«
*
Ich war so früh dran, dass ich ihn auf mich zukommen sah. Wir hatten vereinbart, uns in dem Park in der Nähe unseres Hauses zu treffen. Zuerst bemerkte er mich nicht, sodass ich ihn beobachten konnte, während er die Straße entlangging. Er trug einen dicken Mantel, den wir zusammen ausgesucht hatten, und hielt den Kopf leicht gesenkt. Aber ich konnte trotzdem seinen ernsten, fast schon grimmigen Gesichtsausdruck sehen. An einem anderen Tag hätte ich ihn gefragt, worüber er denn so angestrengt nachdenke. So aber wusste ich es. Ich wusste, was sein Gesicht so angespannt und sorgenvoll wirken ließ, und seinen Mund so schmal. Ich.
Als er mich erkannte, wurde sein Gesicht ausdruckslos, und er schob die Hände noch tiefer in die Manteltaschen.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte ich.
»Schon gut.«
Gemeinsam stapften wir in den kleinen Park. Ich räusperte mich, brachte aber trotzdem keinen Ton heraus.
»Hattest du eine schöne Nacht?«, fragte er.
»Nein.«
»Hast du sie mit einem Mann verbracht?«
»Nein.« Ich holte so tief Luft, dass es schmerzte. Ich spürte ein paar kalte Regentropfen auf meinem Gesicht. »Du warst gestern Abend unterwegs, deswegen bin ich auch ausgegangen. Mit einem Typen namens Stuart, einem Kunden. Es war kein Rendezvous oder so was. Stuart ist derjenige, mit dem ich auf der Kunstausstellung war, aber er bedeutet mir nichts. Es ist wirklich blöd. Anscheinend kann ich nicht allein sein. Sind viele Menschen um mich herum, habe ich oft das Gefühl, dass ich
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