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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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mir auf und führt mich aus dem Zimmer.
    »Ich fahre Sie nach Hause«, meint er.
    »Meine Farbe«, sage ich. »Ich brauche meine Farbdosen.«
    »Vergessen Sie Ihre Farbe.«

    14
    »Wohin?«
    Ich starrte ihn an. Wohin? Wo konnte ich in diesem Zustand hin? Ich sah aus dem Fenster. Es war immer noch dunkel, obwohl am Horizont bereits die Dämmerung auszumachen war.
    Ich sah die leeren, stillen Straßen draußen und mein eigenes Gesicht, das mir aus der Scheibe entgegenstarrte. Ich schob mir das Haar hinter die Ohren und zog meinen Rocksaum über die Knie.
    »Wo wohnen Sie?«
    »Ich möchte nicht heim«, antwortete ich benommen. »Meg.
    Genau. Ich möchte zu Meg.«
    »Und wo wohnt Meg?«, fragte er geduldig.
    »Oh, natürlich, tut mir Leid. Ventura Street. Nicht weit von der Marylebone Road. Sie müssen …«
    »Ich kenne die Gegend. Ich hab da mal gearbeitet.«
    »Und wo ist Ihre derzeitige Baustelle?«
    »In der Nähe der Tate Modern. Genauer wollen Sie es wahrscheinlich gar nicht wissen.«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Unter dem Sitz ist eine Decke.«
    »Eine Decke?«
    »Sie zittern. Wickeln Sie sich ein.«
    Danach setzten wir unsere Fahrt schweigend fort, und ein paar Minuten später überquerten wir bereits den Fluss. Tonys Mercedes glitt ruhig die Straßen entlang. Im Licht der Scheinwerfer sah ich schwarze Müllsäcke, die auf dem Gehsteig zur Abholung bereitstanden, kahle Skelette von Platanen, deren Äste im Wind schwankten, eine durch die Dunkelheit schleichende Katze, einen Mann im Trenchcoat, der langsam dahinschlurfte.
    Auch Autos waren noch unterwegs, sogar mehr, als ich vermutet hätte. Manchmal schloss ich die Augen, aber wenn ich das tat, hatte ich das Gefühl zu sterben, und in meinem Kopf begann wie ein Film mein ganzes verrücktes Leben abzulaufen. Deswegen starrte ich die meiste Zeit aus dem Fenster und beobachtete, wie sich die Stadt auf mich zu bewegte, an mir vorbeirauschte.
    Hin und wieder sah ich auch zu Tony, der mit einer Zigarette im Mundwinkel am Steuer saß.
    »Von hier aus müssen Sie mich lotsen.«
    Als er schließlich vor Megs Wohnung hielt, wäre ich am liebsten wortlos ausgestiegen, aber es gab da noch etwas, was ich sagen musste.
    »Als Sie weg waren, hätte ich – ich hätte nicht anfangen sollen zu spielen. Ich kann mich gar nicht mehr so richtig an alles erinnern. Aber ich habe Geld verloren. Ziemlich viel sogar.«
    Tony zündete sich eine neue Zigarette an. »Ja. Das habe ich gehört.«
    »Ich wollte das alles gar nicht.« Ich wartete auf eine Reaktion, aber er schwieg. »Was soll ich denn jetzt machen?«
    Er inhalierte tief und stieß den Rauch dann aus. »Bezahlen.«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich das Geld habe.«
    »Geld kann man immer auftreiben.«
    »Ich weiß nicht, wem ich es geben soll.«
    »Setzen Sie sich mit Vic in Verbindung. Oder, umgekehrt, er setzt sich mit Ihnen in Verbindung. So oder so.«
    Ich hatte gehofft, Tony würde mir irgendwie helfen. Frustriert stieg ich aus. Es kam mir vor, als könnte ich durch meine Schuhe die Nässe des Gehsteigs spüren. Tony wartete, während ich klingelte. Eine Minute später, nachdem ich ein zweites Mal geklingelt hatte, hörte ich drinnen ein Geräusch, dann ging die Tür einen Spalt weit auf, und Megs verschlafenes Gesicht spähte heraus.
    »Meg«, sagte ich.
    »Holly? Was um alles in der Welt …?«
    »Kann ich reinkommen?«
    »Natürlich.«
    Ich hörte die Kette klappern, das Geräusch von Metall auf Metall, dann ging die Tür auf, und Meg stand vor mir, die Hände am Kragen ihres dicken grauen Bademantels.
    »Was ist passiert?« Sie musterte mich prüfend. »Geht es dir nicht gut? Was ist los?«
    Ich drehte mich um und winkte zu Tony hinüber, der mit einem Nicken antwortete. Sein Mercedes schnurrte davon.
    »Verstehe«, sagte Meg. Ihre Miene wirkte plötzlich wie ver-steinert.
    »Lass uns hinaufgehen«, sagte ich. Auf der Treppe sprach ich mit ihrem abweisenden Rücken. »Es tut mir Leid, dass ich dich aufgeweckt habe. Ich wollte nicht direkt nach Hause fahren.«
    »Das kann ich mir denken.« Megs Stimme klang so kühl, dass ich mich am liebsten auf die Treppe gesetzt und die Hände vors Gesicht geschlagen hätte.
    »Es sind ein paar Dinge schief gelaufen«, sagte ich, als wir in ihre warme Wohnung traten.
    »Ich mach uns einen Kaffee«, sagte sie. »Dann können wir darüber reden.«
    »Ich kann nicht darüber reden. Ich bin zu müde.«
    Meg rieb sich die Augen und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Du kannst

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