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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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erfordert seine Aufmerksamkeit.
    Ein Platz am Tisch ist frei. Einen Moment später sitze ich dort.
    Ich spiele. Stuart sieht mich verblüfft an. Er sagt, er habe gedacht, ich könne nicht Poker spielen, und es wäre sicher besser, wenn ich mich wieder darauf beschränken würde, dekorativ auszusehen. Er ist jetzt ganz Mann und nicht mehr die sensible Seele, mit der ich damals in Oxfordshire bis spät in die Nacht geredet habe. Bei der ersten Runde lasse ich mir viel Zeit, starre lange auf die zwei Königinnen in meiner Hand. Wage ich es zu bleiben? Was soll ich setzen? Stuart sagt etwas, das ich nicht mitbekomme, und die Männer lachen. Dann erzählt er ihnen von meinem Skulpturenkauf und verbindet die Geschichte dann irgendwie mit der Aufforderung, ich solle mich doch auch wieder so schnell entscheiden. Die Männer lachen erneut. Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt.
    Immer noch besser, als beim Sex zu schnell zu kommen, sage ich und fixiere dabei Stuart. Auch wenn ich das natürlich nur aus seinen Erzählungen wisse, füge ich hinzu. Die anderen Männer finden das ausgesprochen lustig. Sie lachen laut und ziehen Stuart damit auf, boxen ihn freundschaftlich. Er sagt kein Wort.
    Plötzlich verspüre ich ein flaues Gefühl im Magen. Ich habe es Stuart zwar heimgezahlt, aber vielleicht bin ich doch ein bisschen zu weit gegangen. Ich greife nach irgendeinem Glas und leere es in einem Zug. Eine Art Stromschlag zuckt durch meinen Körper. Ich fühle mich schon besser. Betäubter.

    Es ist alles so einfach. Ich habe meinen eigenen Haufen bunter Chips. Ich sortiere sie nach Farben. Es läuft wunderbar. Ich werfe drei Karten weg und bekomme eine weitere Königin.
    Damit schlage ich alle. Mein Haufen ist schon viel größer geworden. Später, ich weiß nicht, wie viel später, bekomme ich wieder drei von einer Sorte. Aber diesmal gewinne ich nicht.
    Irgendjemand hat etwas Besseres. Mein Chiphaufen ist weg.

    Ich spiele, und dann spiele ich nicht mehr. Stuart ist verschwunden. Er ist nirgendwo zu sehen. Ich sitze auf dem Ledersofa.
    Was ist nur aus dem lustigen Abend geworden? Erst war ich die Gangsterbraut, die mit allen flirtete, rauchte und trank. Die den Männern über die Schultern schaute, während sie Karten spielten. Dann war ich plötzlich etwas anderes, nämlich die ungezogene kleine Schwester, die sich bei den großen Jungs einmischte, mit ihren Spielsachen spielte. Es war alles wahnsinnig lustig und wurde immer noch lustiger, fast wie früher, wenn man mit seiner besten Freundin zusammen war und irgendwann einen Lachkrampf bekam und gar nicht mehr aufhören konnte zu kichern. Irgendwann fing das Lachen dann an wehzutun, aber man hatte Angst, damit aufzuhören. Nun sitze ich auf dem Ledersofa, das an meinen Oberschenkeln klebt, trinke einen weiteren Whisky und bekomme langsam das dumpfe Gefühl, dass so manches an diesem Abend überhaupt nicht lustig ist. Ich kenne die Leute hier nicht und weiß nicht, wie ich nach Hause kommen soll; und über Geld, glaube ich, verfüge ich auch nicht mehr. Geld. Das ist auch noch so ein wunder Punkt. Nachdem es ein paar Runden lang nicht so gut gelaufen war, hatte jemand eine Zahl genannt: neuntausend Pfund. Das sei die Summe, die ich zu zahlen hätte. Das kann nicht sein. Es war doch nur ein Spiel. Ich habe doch nur Stuart begleitet.

    Ich trinke weiter, damit ich nichts mehr fühlen kann. Jemand reicht mir eine Zigarette und zündet sie mir an. Ich sauge den Rauch tief in meine Lungen ein. Mir wird immer schwummriger. Ich muss an meine Farbdosen denken. Wo sind sie?

    *
    Mir passieren ständig blöde Sachen, das ist schon mein ganzes Leben so. Ich zerbreche Gläser oder renne gegen Türen. Wenn ich Gemüse schneide, was selten genug vorkommt, dann ramme ich mir bestimmt das Messer in den Daumen. Ich bin es also gewohnt, in der Notaufnahme oder auf dem Zahnarztstuhl ein Schmerzmittel gespritzt zu bekommen. Das Interessante an diesen Spritzen ist, dass sie den Schmerz nicht beseitigen, sondern nur an eine andere Stelle verlagern, wo er einen nicht so stört, obwohl man spürt, dass er unterschwellig noch da ist.
    Auch jetzt weiß ich, dass es einen Teil von mir gibt, der sich nicht so wohl fühlt, und dass sich der Rest von mir später, wenn die Wirkung des Alkohols nachlässt, auch nicht mehr wohl fühlen wird.
    Tony beugt sich über mich. »Alles in Ordnung?«
    Ich starre ihn nur an.

    »Wir sollten jetzt aufbrechen«, erklärt er. »Das Spiel ist vorbei.« Er hilft

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