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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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streichelte mir übers Haar.
    »Ich glaube, es geht mir nicht besonders.«
    »Wir werden schon dafür sorgen, dass es dir bald wieder besser geht.«
    »Oh, Charlie«, sagte ich. »Ich weiß, dass du gut darin bist, Sachen zu reparieren, aber …«
    »Es wird mein Hobby sein.« Seine Augen leuchteten.
    Am liebsten hätte ich ihn gefragt: Mit wem schläfst du? Ich wusste, dass es da jemanden gab: Er war so fürsorglich und gleichzeitig doch so unnahbar. Plötzlich sah er wieder jünger und weicher aus, fast wie der enthusiastische junge Mann, in den ich mich vor einem Jahr verliebt hatte. Doch statt zu fragen:
    »Warum hören wir nicht auf, uns gegenseitig anzulügen?
    Warum spucken wir die schmutzige Wahrheit nicht aus, damit wir sie uns anschauen und beim Namen nennen können?«, berührte ich seine Wange und drehte mich dann zur Seite, damit er mein Gesicht nicht sah.
    Es war fast acht. Ich würde bis sechs arbeiten. Zehn Stunden lang würde ich die Rolle der Holly Krauss spielen müssen, dann konnte ich die Bühne wieder verlassen, die Tür hinter mir zusperren und ins Bett gehen. Wenn ich es schaffte, den Tag zu überstehen, ohne irgendetwas schlimmer zu machen, dann würde es morgen schon ein wenig besser gehen – und so weiter.
    Zuerst lief es ganz gut. Ich brachte das übliche morgendliche Procedere hinter mich und schaffte es sogar, ein bisschen etwas von dem zu essen, was Charlie mir hinstellte. Er sagte, es sei wichtig, dass ich richtig aß, womit er wahrscheinlich Recht hatte. Meine Haut fühlte sich rau an, als wäre ich krank gewesen oder kurz davor, krank zu werden. Ein leichter Nebel hing über allem, drinnen ebenso wie draußen. Ich verwandte viel Zeit darauf, mich anzuziehen und zu schminken, meine Maske anzulegen, die Rüstung, die mich vor der Welt schützen würde, auch wenn sich meine geschwollene, blaue Wange nicht verbergen ließ. Als ich schließlich meinen Mantel anzog, musterte Charlie mich prüfend.
    Bevor ich in die Arbeit aufbrach, nahm ich mein Handy mit hinaus in den Garten, wo Charlie mich nicht hören konnte, und rief Stuart an.
    »Holly? Na so was. Ich hab nicht damit gerechnet, so schnell wieder von dir zu hören.«
    »Nein?« Meine Stimme klang matt.
    »War ein toller Abend, oder?«, fragte er in viel zu lautem Ton.
    »Welchen meinst du?«
    »Ich schätze, du hast da eine große Auswahl. Ich spreche von deinen Heldentaten als Kartenspielerin.«
    »Darüber wollte ich mit dir reden.«
    »Wo sollen wir uns treffen?«, antwortete er seltsam bereitwil-lig.
    Ich holte tief Luft. Eigentlich wollte ich mich überhaupt nicht mit ihm treffen, aber ich konnte ja schlecht am Telefon zu ihm sagen: »Ich hätte eine große Bitte an dich, aber können wir es möglichst schnell hinter uns bringen?« Also verabredeten wir uns um zehn in einem Café.

    Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich während der Arbeitszeit aus dem Büro stahl, beruhigte mich dann aber damit, dass die anderen wahrscheinlich froh waren, wenn sie mich eine Weile nicht sehen mussten. Als Stuart eintraf, fiel mir auf, wie schick und selbstsicher er wirkte. Er trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd, aber keine Krawatte. Der Kaffee, den er für uns holte, wurde in riesigen, farbenfrohen Bechern serviert, die aussahen, als wären sie für überdimensionale Kleinkinder entworfen worden.
    Er musterte mich eindringlich. »Da hat dir wohl jemand mal so richtig gezeigt, was er von dir hält, oder?«
    Ich fasste an meine Wange. »Ich bin gestürzt.«
    »Ach ja?« Er grinste sarkastisch. »Und müde siehst du auch aus.«
    »Wie heißt es so schön? Schlafen kann ich, wenn ich tot bin«, antwortete ich. »Jedenfalls muss ich erst mal ein paar Sachen regeln. Hast du mitbekommen, wie das mit dem Pokerspiel gelaufen ist?«
    Stuarts Lächeln wurde noch ein bisschen breiter. »Ja, das habe ich.«
    »Du musst entschuldigen«, sagte ich. »Meine Erinnerung an den Abend ist ein bisschen bruchstückhaft. Aber ich weiß, dass ich nicht besonders nett zu dir war. Falls ich da ein wenig übers Ziel hinausgeschossen bin, tut es mir Leid.«
    »Du bist weit übers Ziel hinausgeschossen.«
    »Das tut mit Leid.«
    »Ich habe mich hinterher wirklich gefragt, was du für einen Grund hattest, mich derart zu demütigen.«
    »Es tut mir Leid, Stuart. Ich glaube, ich fühlte mich irgendwie von dir angegriffen, und wollte zurückschießen. Aber die Art und Weise, wie ich das getan habe, war wirklich unverzeihlich.«
    »Worüber wolltest du mit

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