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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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hatte.
    Mein Herz klopfte so heftig, dass ich kaum hörte, was Stuart sagte. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.

»Ich hab eine Nachricht für Deborah«, sagte ich schließlich.
    »Richte ihr aus, sie kann uns mal. Wir sind froh, dass wir ihr frühzeitig auf die Schliche gekommen sind. Ich würde ihr nicht mal unseren Müll anvertrauen.«
    Ich stand auf und ging.
    Schwankend wie eine Betrunkene kam ich im Büro an. Ich schaffte es gerade noch bis zu meinem Stuhl. Meine Beine gaben fast unter mir nach, und als ich anfing, am Computer etwas zu schreiben, zitterten meine Finger so, dass ich ständig die falschen Tasten drückte. Ich weiß nicht, wie viel Zeit auf diese Weise verging – alles schien ineinander zu fließen. Lola stellte mir eine Tasse Kaffee hin, aber ich verschüttete sie über den Schreibtisch, und eine Weile herrschte ziemliches Chaos: Akten mussten gerettet werden, und überall lagen voll gesogene Taschentücher herum. Ich biss von einem Sandwich ab, woraufhin mir sofort übel wurde, sodass ich den Rest in den Müll warf.
    Ich kann mich an ein Gespräch mit Meg und Trish erinnern, weil es dabei um Deborah ging. Ich hörte mich selbst mit einer Stimme sprechen, die mir ganz fremd vorkam. Ich fragte die beiden, ob ich vielleicht doch ein wenig voreilig gewesen sei, und sie meinten, dass sie eine zweite Chance verdient habe.
    Aber Trish antwortete in energischem Ton, dass unser Anwalt mittlerweile alle Unterlagen durchgesehen habe und sicher sei, dass wir uns unter den gegebenen Umständen völlig korrekt verhalten hätten. Der Fall sei abgeschlossen, und eine zweite Chance werde es nicht geben.
    »So viel dazu«, fügte Meg hinzu. »Vergiss Deborah.«
    »Vergiss Deborah«, wiederholte ich tonlos.
    Ich weiß auch noch, dass mir Meg irgendwann die Hand auf die Schulter legte und immer wieder meinen Namen sagte. Sie fragte mich, ob alles in Ordnung sei, und ich antwortete, ja, es gehe mir gut. Dabei fiel es mir schwer, mich auf irgendetwas zu konzentrieren, weil ich ständig an diesen Jungen von gestern Abend denken musste, diesen Dean, der nach Kleber und Schweiß stank und so seltsam kicherte. Wie er aus dem Haus schlenderte, während Charlie die Straße entlangkam. Und ich musste an Stuarts Gesicht denken, das heute Morgen so feindselig und voller Abscheu gewesen war. Und dann gab’s da noch Rees, der mein Kleid zerrissen und mich geschlagen hatte. War das wirklich erst gestern passiert? Ich hatte noch das Geräusch in den Ohren, mit dem mein Kopf gegen die Wand geknallt war.
    Das alles kam mir wie ein Traum vor, ein Alptraum, in dem alles Schlimme auf einmal über einen hereinbricht und all die schrecklichen Dinge, die man getan hat, zurückkehren und einen heimsuchen. Und man weiß, dass man nicht entkommen kann.
    Was man auch tut, egal, ob man kämpft, flieht oder nach Hilfe ruft, es ist sinnlos.
    »Du weinst ja«, sagte eine Stimme neben mir. Meg. Ich hatte sie gar nicht kommen sehen. »Warum weinst du?«
    »Ich kann nicht damit aufhören.«
    Eine Weile saß ich einfach nur so da, starrte auf den leeren Bildschirm und hörte um mich herum die Telefone klingeln.
    Dann kam Meg mit Lola zurück. Sie sagte, draußen warte ein Taxi, und Lola werde mich nach Hause begleiten. Ich fand das ein bisschen seltsam, aber wahrscheinlich war es gar keine so schlechte Idee. Ich sagte zu Meg, ich müsse nur eine Weile die Schotten dicht machen, um den Sturm zu überstehen, dann würde ich wieder ganz die Alte sein. Sie meinte, ich solle mir so viel Zeit lassen, wie ich brauchte. Aber wir sollten uns die nächsten Tage mal zusammensetzen und besprechen, was ich unternehmen könnte, um mich vor Rees zu schützen. Und vor Deborah, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Und vor dem durchgeknallten Handlanger des Schuldeneintreibers. Und vor mir selbst. Was konnte ich tun, um mich vor mir selbst zu schützen?
    Die Fahrt schien nur ein paar Minuten zu dauern. Lola schloss mir die Tür auf. Als sie mich auszog, sagte ich zu ihr, dass mich seit meiner Kindheit keine Frau mehr ausgezogen habe. Ein paar Männer, aber keine Frau. Ich entschuldigte mich bei ihr.
    Eigentlich hätte ich ihr helfen sollen. Das war mein Job. Sie brachte mich ins Bett. Ich rollte mich zusammen, um mich aufzuwärmen. Lola ging, ich hörte sie unten die Tür schließen.
    Im Haus war es ruhig, ich war allein. Von der Straße drangen ein paar Geräusche herein, das Quietschen von Reifen, Gehupe, Motorenlärm. Draußen waren die Leute, die mich

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