Der Feind in deiner Nähe
schlecht angefangen, aber inzwischen fand ich ihn ziemlich komisch. Mir war, als hätte ich eine schlimme Migräne über-standen, sodass ich mich zwar noch ein wenig seltsam fühlte, aber trotzdem schneller und klarer denken konnte als jeder andere Mensch im Raum. Ich betrachtete die junge Frau: DR.
CLEEVELY stand in eckigen Großbuchstaben auf ihrem Namensschild. Sie trug einen strahlend weißen Mantel und lächelte freundlich.
»Ich sehe Ihnen an, dass Sie jetzt krampfhaft überlegen«, erklärte ich, »wie Sie mich dazu bringen, Ihnen zu antworten, dass ich mich auf der Unfallstation eines Krankenhauses befinde. So, nun habe ich es gesagt. Ohne dass Sie mich dazu drängen mussten.«
»Wissen Sie, warum Sie hier sind?«, fragte sie.
»O nein, nicht das schon wieder! Seit ich von einem Mann und einer Frau in Uniform hergebracht wurde – finden Sie nicht auch, dass Leute in Uniform etwas Besonderes an sich haben?
Als ich die beiden sah, hielt ich sie erst für ein Stripperpaar, weil ich an irgendeinen Gag dachte, Sie wissen schon, man kann doch Grüße oder Botschaften durch Stripper überbringen lassen, obwohl es zugegebenermaßen ungewöhnlich wäre, wenn einem jemand Stripper schickt, während man gerade die Suicide Bridge überquert. Das ist natürlich nicht ihr richtiger Name, das wäre ja auch eine seltsame Bezeichnung für eine Brücke. Wer möchte schon über einen Brücke gehen, die Selbstmordbrücke heißt? Oder unten durch. In Wirklichkeit heißt sie …« Ich konnte mich an den Namen nicht erinnern. »Auf jeden Fall wird sie in der Gegend – auf eine fast schon liebevolle Weise –
Suicide Bridge genannt. Der Grund ist, dass ständig Leute auf dieser Brücke Selbstmord begehen. Nein, nicht auf, sondern von der Brücke. Und sie tun das erstens deswegen, weil der Boden so weit weg ist. Der Boden darunter, meine ich. Und zweitens, weil es angeblich – ich habe das nicht überprüft, aber angeblich ist es der einzige Ort in London, wo man sich umbringen kann, indem man von einem Postbezirk, nämlich N19, losspringt und in einem anderen, nämlich N irgendwas, landet. Wie lautete noch mal die Frage?«
»Holly –«
»Für Sie immer noch Miss Holly.«
»Ich werde jemanden holen, der Sie untersuchen wird.«
»Was war noch mal Ihre Aufgabe?«
»Ich bin nur für Unfälle zuständig.«
»Dafür brauchen Sie sich doch nicht zu entschuldigen.«
»Es dauert höchstens eine Minute.«
»Das macht nichts«, antwortete ich. »Ich muss sowieso in die Arbeit.« Dr. Cleevely verschwand durch den Vorhang, der um die Couch gezogen war. Leider ließ sie mich mit einer sehr großen Krankenschwester zurück, die mir damit drohte, mich festzubinden, falls ich versuchen sollte aufzustehen. Um sie ein wenig zu entspannen, begann ich ein Gespräch mit ihr. Wir hatten gerade erst angefangen, uns über Simbabwe zu unterhalten, wo sie herkam, als Dr. Cleevely mit einer anderen Ärztin zurückkehrte, einer Asiatin namens Dr. Mehta, die sich als die diensthabende Psychiaterin vorstellte.
»Das ist jetzt die Stelle, wo ich sage: ›Psychiaterin?‹ Ich brauche keine Psychiaterin. Ich bin völlig normal.«
Dr. Mehta lächelte nicht. Sie war eine ernsthafte junge Dame mit einem Klemmbrett und fragte mich als Erstes nach meinem Namen, meinem Geburtsdatum und meiner Adresse. »Wissen Sie, warum Sie hier sind?«
»Nicht schon wieder!«, stöhnte ich. »Ich habe wirklich Wichtigeres zu tun. Wenn Sie es genau wissen müssen: Zwei Polizeibeamte haben mich hergebracht.«
»Warum?«
»Ich schätze mal, sie hatten mich satt und wollten mich loswerden. Ich hatte in letzter Zeit ziemlich viel mit ihnen zu tun.
Das ist eine lange Geschichte.«
»Erzählen Sie«, forderte Dr. Mehta mich auf.
»Na schön, Sie haben es nicht anders gewollt. Jemand hat mich bedroht – genau genommen haben mich in letzter Zeit eine Menge Leute bedroht, aber der, von dem ich gerade rede, nun ja, er ist wahrscheinlich auch gerade in diesem Krankenhaus, weil ich ihm einen Handspiegel ins Gesicht geknallt habe, der mal meiner Großmutter gehörte. Jedenfalls bin ich sicher, dass es sich um dieses Krankenhaus gehandelt hat und ich vor kurzem schon mal hier war. An den genauen Tag kann ich mich nicht erinnern – es ist schwierig, die Tage auseinander zu halten, nicht wahr? –, aber er wollte mir nur etwas tun, weil ich diese Frau gefeuert hatte, und außerdem ist da noch dieser Mann, der auf mich fixiert ist. Wir hatten tatsächlich mal Sex, aber es
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