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Der Feind in deiner Nähe

Titel: Der Feind in deiner Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Schlafen Wale? Wie ein Strandwal.« Ich musste lachen. »Das klingt nach einem Wal, der Urlaub macht. Ich meine einen gestrandeten Wal. Oder nehmen wir lieber einen Bären. Bären schlafen den ganzen Winter. Die Glücklichen.«
    »Wie ist Ihr allgemeiner Gesundheitszustand? Fühlen Sie sich fit und wohl?«
    »Sieht man das denn nicht? Ich sehe doch aus wie das blühende Leben. Wahrscheinlich bin ich der gesündeste Mensch im ganzen Gebäude.«
    »Wie steht es denn mit … nun ja, beispielsweise Ihrem Sexu-alleben?«
    »Was meinen Sie mit ›nun ja, beispielsweise‹? Ist Ihnen das Thema peinlich? Nun geben Sie es schon zu. Sind Sie neu auf dem Gebiet? Halten Sie sich für kompetent genug, den Zustand meines Liebeslebens zu beurteilen?«
    »Mich interessiert, wie Sie es sehen.«
    »Besonders toll ist es in letzter Zeit nicht gelaufen. Nur, damit Sie sehen, dass mir so leicht nichts peinlich ist und ich kein scheues Mauerblümchen bin, das ständig errötet und nur im Verborgenen blüht: Unter dem Einfluss von Alkohol und Ähnlichem hatte ich vor ein paar Wochen Sex mit einem Mann, dem ich noch nie zuvor begegnet war, und ja, ich bin verheiratet, und ja, ich bin glücklich verheiratet – und tut es mir Leid? O
    mein Gott, ja – was sich für mich wie eine recht normale Antwort anhört.« Ich hielt inne und versuchte mich zu konzentrieren. »Das habe ich Ihnen alles schon erzählt, stimmt’s? Oder habe ich es der anderen erzählt? Der anderen Ärztin? Hier sind nur Frauen. Lasst ihr hier keine Männer arbeiten? Was nicht heißen soll, dass ich mich beschwere. Es fällt mir schwer, mit einem Mann über so etwas zu sprechen. Sie sind mir allerdings auch keine große Hilfe. Ich dachte, Sie wären Psychiaterin.
    Könnten Sie mir nicht ein paar Worte des Trostes spenden? Ich brauche nämlich dringend Trost. Ich weiß, dass ich dauernd vor mich hinplappere, aber darunter bin ich traurig, das weiß ich.«
    Ich sah sie an. Kritzel, kritzel, kritzel. »Nichts? Bloß wieder eine schlechte Note? Schon wieder eine Sechs? Ich glaube, Frau Doktor, dass ich mir jetzt genug Mühe gegeben habe, Sie zu unterhalten. Ich fühle mich allmählich ein bisschen müde.
    Außerdem habe ich Kopfschmerzen, mein Knöchel pocht, meine Hände und Knie tun weh, und ich möchte einfach nur von hier weg und mich hinlegen. Wenn Sie mir irgendwas verschreiben wollen, habe ich nichts dagegen. Ansonsten werde ich jetzt gehen.«
    Kritzel, kritzel, kritzel. Sie blickte auf. »Was ist mit Essen?«
    »Nein, danke, ich habe keinen Hunger.«
    Sie verzog keine Miene.
    »Ich spreche von Ihrem Appetit. Im Allgemeinen.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Essen Sie richtig?«
    »Auf diese Frage bekommen Sie nur ein würdevolles ›Kein Kommentar‹. Ein Mensch darf nicht gezwungen werden, gegen sich selbst auszusagen.«
    »Haben Sie Probleme in der Arbeit?«
    Ich zog eine Grimasse. Das war ein heikles Thema. Hier würde ich aufpassen müssen, was ich sagte. »Ich weiß nicht, wie viel Zeit Sie haben. In der Arbeit waren sie total – was sie selbst bestimmt zugeben würden, wenn sie … na ja, eines Tages werden sie es bestimmt zugeben –, jedenfalls waren sie total …
    unfair. Aber das ist doch sowieso alles sinnlos. Was können Sie schon über mein Leben wissen? Ich werde hier hereingeschleppt wie ein toter Vogel von einer Katze und Ihnen vor die Füße gelegt. Ich verstehe mein Leben ja nicht mal selbst, und das, obwohl ich mich schon siebenundzwanzig Jahre damit herumschlage.«
    Ich blickte zu Dr. Mehta auf.
    Inzwischen kritzelte sie nicht mehr, sondern starrte nur noch ins Leere. »Lassen Sie mich kurz mit Ihrem Mann sprechen«, sagte sie.
    »Hatten wir das nicht schon?«, fragte ich. »Allmählich habe ich das Gefühl, dass sich die Dinge wiederholen.«
    Während die beiden redeten, machte ich mir im Kopf eine Liste mit den Dingen, die ich ihr sagen wollte. Ich versuchte sie nach dem Grad ihrer Wichtigkeit zu ordnen, aber sie entglitten mir immer wieder, sodass ich von vorn anfangen musste. Und dann war Dr. Mehta plötzlich wieder da.
    »Ich habe Sie gar nicht kommen sehen«, sagte ich.
    »Miss Krauss«, erklärte Dr. Mehta. »Ich werde jetzt mit einem weiteren Spezialisten sprechen. Bestimmt wird er auch mit Ihnen reden …«
    »Es ist also doch ein Mann im Haus«, unterbrach ich sie.
    »Halten Sie den irgendwo versteckt? Damit Sie ihn bei besonderen Gelegenheiten herausholen können?«
    »Trotzdem kann ich Ihnen jetzt schon sagen, dass ich möchte, dass Sie sich

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