Der Feind meines Vaters - Roman
abschneiden lassen, trug jetzt einen Seitenscheitel und hatte die Strähne, die ihr sonst immer halb ins Gesicht gefallen war, mit einer himmelblauen Haarschleife gebändigt, doch als sie mich hörte, hob sie die Nasenspitze in die Luft, als hätte meine Ausdrucksweise sie beleidigt.
»Komisch?«
»Ich meine, du hast dich sehr verändert.« Ihr Ausdruck wurde nicht viel besser, also kam ich ihr noch einen Schritt entgegen, ohne zu wissen, warum oder wohin es mich führen würde. »Sehr hübsch.«
»Ah!« Endlich lächelte sie. »Du hast dich auch verändert. Bist ganz schön gewachsen, was?«
»Ja.« Auch ich lächelte, obwohl sie, die im Sommer elf geworden war, immer noch einen halben Kopf größer war als ich.
»Du …«, sie rümpfte die Nase und zog dabei eine so lustige Grimasse, dass mein Grinsen wie von selbst breiter wurde, »… du dagegen siehst ganz schrecklich aus, so schmutzig.«
»Stimmt. Ich war den ganzen Morgen mit dem Portugiesen in den Bergen und habe Moos und Farne für die Krippe des Rathauses gesammelt. Ich bekomme sogar Geld dafür, stell dir vor. Wenn du Lust hast, lade ich dich zu einer Portion Churros ein …«
»Na gut, wenn du unbedingt willst. Es ist kalt, etwas Warmes wäre nicht schlecht, bevor ich wieder hochgehe. Aber wir dürfen nicht zu lange herumtrödeln, ich bin nur gekommen, um ein paar Postkarten einzuwerfen. Ich will nicht, dass meine Großmutter sich Sorgen macht.«
»Wir brauchen nicht lange«, versprach ich, von meiner eigenen Kühnheit beflügelt. »Wirf deine Postkarten ein und warte hier auf mich, ich bin gleich wieder da.«
Ich rannte über den Platz zurück und lieferte meine Fracht ab. Zwar lobte Señorita Ascensión, die mich von Geburt an kannte, weil sie eine gute Freundin der beiden Mediamujeres war, meine Fracht überschwänglich, weigerte sich jedoch, mich zu bezahlen.
»Ich regele das lieber morgen mit Pepe«, erklärte sie, ohne sich die Mühe zu machen, mir dabei ins Gesicht zu sehen.
»Warum denn?«, wandte ich ein. »Wir haben halbe-halbe ausgemacht. Ich habe genauso viel gesammelt wie er, sogar mehr als er, und dann alles allein hierhergebracht. Er hat gemeint …«
»Ich habe nein gesagt.« Jetzt sah sie mich an, und ich wusste, dass da nichts zu machen war. »Kommt beide morgen vorbei, dann könnt ihr euch das Geld so teilen, wie ihr wollt. Kinder bezahlt man nicht mit Geld, ihr gebt es sowieso nur für dummes Zeug aus.«
»Ich will ja nicht alles«, bettelte ich weiter. »Ich bräuchte nur eine Pesete, nein, fünfzig Céntimos würden reichen … Ich habe eine Freundin getroffen und ihr versprochen, sie zu einer Portion Churros einzuladen. Sie wartet draußen.«
»Dann musst du eben bei María anschreiben lassen.«
»Das ist doch nicht dasselbe.« Plötzlich war ich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihr eine zu knallen und in Tränen auszubrechen. »Verstehen Sie das nicht?«
»Morgen, morgen kannst du sie einladen. Was macht ein Tag mehr oder weniger schon aus?« Als wollte sie das Gespräch für beendet erklären, zog sie den Mantel an und wandte sich an die Arbeiter auf dem Podium, wo die Krippe aufgestellt werden sollte. »Ihr wart nicht gemeint, verstanden? Wenn ihr die Krippe heute Nacht nicht fertig habt, seht ihr morgen auch kein Geld.«
Was soll ich jetzt machen, dachte ich, während ich sah, wie sie entschlossen davonging und ihre Absätze auf den Kacheln klapperten, als wollte sie meine frischgewonnene Selbstsicherheit mit Füßen treten. Doch die Verzweiflung in meinem Gesicht musste die Schreiner gerührt haben, denn plötzlich kam Joaquín Fingenegocios, Lorenzos Cousin, der die Schreinerei übernommen hatte, nachdem dieser in die Berge gegangen war, auf mich zu.
»Hier, Knirps. Arbeit muss bezahlt werden, verdammt nochmal! Nicht einmal das respektiert man noch in diesem Land.« Dann nahm er ein paar Münzen aus der Tasche und drückte sie mir in die Hand. »Fünfzig Céntimos, mehr habe ich nicht. Wenn die blöde Kuh morgen den Portugiesen trifft, denn das will sie ja in Wahrheit bloß, kannst du sie mir zurückgeben, abgemacht?«
»Danke, vielen Dank. Morgen, ganz bestimmt.«
»Schon gut, und jetzt geh dich schnell noch waschen, denn du willst doch sicher nicht, dass sich das Mädchen schämt, wenn es sich so mit dir blicken lässt.« Er lachte, und seine Kollegen fielen ein. »Sag Pepe, dass er sich in Acht nehmen soll. Diese Betschwestern sind die Allerschlimmsten.«
Als ich das Haus verließ, spürte ich
Weitere Kostenlose Bücher