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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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Schweinehund nicht, diesen gottverdammten Sadisten.«
    Ich hatte sie noch nie so über den Leutnant sprechen hören, trotzdem überraschte es mich nicht. Sie hatte jeden Grund, Angst zu haben, auch wenn die Vergeltung der Widerstandskämpfer dieses Mal ganz anders ausfallen sollte.
    Die Fingenegocios ließen Joaquín nicht hängen. Lange Zeit, so lange es nötig war, schenkten sie ihm nach und nach ein kleines Vermögen, damit sein Gebiss wiederhergestellt, seine Nasenscheidewand begradigt, sein Knie operiert werden und er mehrmals nach Valencia fahren konnte, wo ein Augenarzt, der sich auf Glasaugen spezialisiert hatte und ebenso ein Roter war wie sie, ihm einen maßgeschneiderten Ersatz anfertigte, der so echt aussah und so perfekt auf das andere Auge abgestimmt war, dass man keinen Unterschied erkennen konnte.
    Auf diese Art gelang es ihnen zu leugnen, was passiert war, die Spuren zu verwischen und dem Feind ihren Willen aufzuzwingen, mit mindestens ebenso viel Energie wie die Guardia Civil für Miguel Sanchís Beerdigung aufgebracht hatte.
    Doch sie töteten niemanden, denn nicht einmal dafür blieb ihnen Zeit.

Es war halb sechs am Nachmittag und brütend heiß. Die Straßen waren leergefegt, die Türen geschlossen, die Rollläden heruntergelassen wie ein stummer und vergeblicher Protest gegen die Augusthitze, die keinen Deut nachgelassen hatte, obwohl wir bereits in die dritte Septemberwoche gingen. Deshalb merkte niemand, wie ich den Raum betrat. Vier alte Herren spielten Domino, doch keiner sah von der Partie auf. Es hatte sich vieles verändert, und jetzt war es nicht mehr nötig, alles misstrauisch zu beäugen, abzuwägen, zu berechnen, vorauszusehen, andere zu decken und sich selbst zu schützen, jeden zu kontrollieren, um alles unter Kontrolle zu haben. All das war nicht mehr wichtig.
    »Hallo, Knirps.« Cuelloduro trocknete sich die Hände mit einem Tuch ab, ehe er sie auf den Tresen stützte. »Was möchtest du denn?«
    »Ich wollte das Foto ansehen.«
    Wortlos drehte er sich um, nahm es vom Spiegel, an dem es steckte, und reichte es mir.
    Ich war erstaunt, wie sehr es der alten Aufnahme ähnelte, die Mutter manchmal aus der Schublade zog und dann die Augen schloss, statt sie zu betrachten. Erst später fiel mir auf, dass sie sich doch nicht so ähnlich waren, denn die eine war unter freiem Himmel aufgenommen worden und die andere nicht. Auf der einen hielt Mutter einen Säugling auf dem Arm, dessen Gesicht man nicht sehen konnte, ein in Wickeltücher gehülltes Bündel, und der Junge auf der anderen saß mit offenen Augen auf dem Schoß seiner Mutter, obwohl er nicht älter als drei Monate sein mochte. Auf unserem Familienporträt, das in der Wäschekommode schlummerte, stützte sich Vater mit dem linken Arm auf einen kleinen Tisch und beugte sich vor, um sein Gesicht dicht an das seiner Frau zu halten. Auf dem Foto, das ich jetzt in den Händen hielt, saß der Mann auf dem Arm eines Sessels, und sein Körper beugte sich wie ein schützender Rundbogen über Frau und Kind. Doch das Lächeln war identisch, und auch der Ausdruck von Ruhe und Glück dieser beiden von der Zeit und der Geschichte getrennten Paare: meine Eltern in ihrem Haus, in einem Dorf namens Valderrubio, vor dem Krieg, mit meiner Schwester Dulce, Regalito und Filo in ihrem Haus in Toulouse, aufgenommen vor wenigen Tagen, mit ihrem Sohn, der Tomás hieß, obwohl ihn kein Priester getauft hatte.
    Im Dorf gab es zwei Abzüge dieses Fotos, die in einem Umschlag auf dem Hof der Rubias abgegeben worden waren, allerdings nicht vom Briefträger. Carmela Pesetilla hatte ihren Abzug weggelegt und zeigte ihn niemandem. Paula aber kam am nächsten Tag mit dem anderen zu Cuelloduro und klemmte ihn an den Spiegel hinter dem Tresen, damit alle Welt den krönenden kleinen Abschluss des grandiosen Reinfalls zu sehen bekam.
    »Danke.« Ich gab ihm das Foto zurück, und er steckte es wieder an seinen Platz.
    »Gern geschehen«, sagte er.
    Als ich auf die Straße trat, begegnete ich Rodillaspelás und grüßte sie, adiós, adiós , obwohl sie erschrocken die Brauen hob und die Augen aufriss, als sie sah, wie ich von einem verbotenen Ort kam. Die verbotenen Orte waren nur noch eine Legende, so wie die Berge, doch es war mehr als das. Vater würde mir nichts sagen. Er konnte mich nicht bestrafen, nicht einmal ausschimpfen nach allem, was wir zusammen durchgemacht hatten, bevor am letzten Mittwoch im April 1949 der Tag anbrach.
    In jener Nacht, der zweiten,

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