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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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einer Ausnahme. Vida, Cuelloduros Tochter, erkundigte sich nach ihrem Mann, der als einziger nicht nach Hause gekommen war. Sie erklärten ihr, dass es ihm gutgehe, sie solle sich keine Sorgen machen, er werde bald entlassen. Doch sie glaubte ihnen nicht, und sie hatte recht, denn schließlich kam Vater heraus, um ihr mitzuteilen, er sei nicht sicher, ob Joaquín Fingenegocios die Nacht überleben würde.
    Am Abend ließ der Leutnant endlich einen Arzt rufen. Der erste, den sie fanden, war noch ganz jung; er hatte gerade erst sein Examen abgelegt, sich hier niedergelassen und keine Ahnung, was ihn erwartete. Als er die notwendige Ruhe fand, den Patienten zu untersuchen, war er etwas zuversichtlicher. Joaquín sei erst vierundzwanzig und stark, sagte er, und da er so lange durchgehalten habe, gebe es Grund zu der Hoffnung, dass er überleben könnte. Dann bat er um Jod, Alkohol und Tücher, aus denen er Verbände machen konnte, weil seine eigenen nicht ausreichten. Und als er mit Fingenegocios allein war, erklärte er ihm, dass er einen gebrochenen Arm hätte, und sie ihm nicht erlaubten, ihn in Gips zu legen, dass er aber den Arm richten werde. Das werde schmerzhaft sein, aber er solle ihn nicht bewegen. Wenn er wieder zu Hause sei, solle er sofort jemanden zu ihm schicken, dann würde er seinen Arm in Gips legen, damit er später wieder normal seiner Arbeit als Schreiner nachgehen könnte. Hinsichtlich der Rippen könne er nichts machen, da würde nur Bettruhe helfen, dasselbe gelte für die Kopfwunde und die Verletzungen an den Knien, doch die würde er gleich nähen, denn das würde der Leutnant nicht sehen, nachdem er sie verbunden hätte. Zum linken Auge sagte er nichts, obgleich er sofort erkannte, dass Joaquin damit niemals mehr sehen würde; das rechte war zwar geschwollen, aber noch heil. Am nächsten Morgen kehrte der Arzt in die Kaserne zurück, um die Verbände zu wechseln. Er gab Joaquín noch mehr Schmerzmittel und fragte, ob er in der Lage wäre, am Abend nach Hause zu gehen, je früher, desto besser, woraufhin sein Patient nickte.
    Als wir am Nachmittag aus der Schule kamen, sahen Alfredo, Paquito und ich, wie Vida über die Straße rannte, gingen ihr nach und blieben dann alle gleichzeitig stehen, wir auf dem Bürgersteig, sie mitten auf der Straße. Joaquín Fingenegocios hatte gerade die Kaserne verlassen und kam sehr langsam auf uns zu. Er trug einen Verband um den Kopf, hatte ein Auge geschlossen, den Arm in einer Schlinge und auf der Höhe des ebenfalls verbundenen Knies ein abgeschnittenes Hosenbein. Gesicht, Hals, ein Ohr, beide Hände, Brust und Beine waren verletzt. Sein ganzer Körper war eine riesige, in viele kleine Blessuren unterteilte Wunde, die durch die Prellungen, das geronnene Blut der Quetschungen und das hellere Rot der Blutflecken auf seiner Kleidung miteinander verbunden waren. Ich hatte so etwas noch nie gesehen, Paquito und Alfredo auch nicht, doch sie liefen weg, ich nicht. Als auch Vida sich abwandte, hielt sie ihr Mann mit einer seltsam breiigen Stimme zurück.
    »Lauf nicht weg, Vida.«
    Das sagte er, und sie, die aussah wie ein kleines Mädchen, weil sie viel jünger war als er und klein, mit einem runden Gesicht und einem Zopf, sah ihn an, als hätte sie ihn nicht verstanden, aber sie hörte auf ihn und blieb stehen, um dieser Stimme zu lauschen, die ihr in den Ohren wehtat.
    »Und bitte nicht weinen, Vida, nicht weinen. Gib den Hurensöhnen nicht die Genugtuung, dich weinen zu sehen.«
    Ich stand immer noch da, wo ich stehen geblieben war, als ich Joaquín gesehen hatte, und in der Ferne erkannte ich Michelin, der mit Izquierdo ans Tor gekommen war, um den letzten Gefangenen zu entlassen, ebenso wie sie mich.
    »Sehr gut.« Als ich wieder zu Fingenegocios blickte, hatte sich seine Frau bereits die Tränen abgewischt. »Jetzt heb den Kopf, sieh mich an und komm zu mir, langsam. Sehr gut. Komm her, an meine linke Seite, so, ich halte mich an deiner Schulter fest, und du legst den Arm um meine Hüfte, aber Vorsicht mit meinen kaputten Rippen, nein, da nicht, etwas tiefer, ja, so ist gut. Und jetzt sieh mich an, sieh mich an und lächele.« Sie blickte ihn mit Tränen in den Augen an. »So wie ich dich anlächele, siehst du? Jetzt gib mir einen Kuss auf die Wange, Vida, aber vorsichtig.« Vida küsste ihn, und er küsste sie. »Prima machst du das, und jetzt lass uns gehen, ganz langsam, beide zusammen, aber hör nicht auf zu lächeln, Vida, und erzähl mir was, egal was.

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