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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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Feuchtigkeit glänzte. »Wenn es eine Falle ist, und nach der Sache mit Sanchís… Nein, das kann ich nicht machen.«
    In diesem Augenblick schweifte mein Blick zurück zu Mutter, und ich entdeckte, dass sie mich ansah und wir beide dasselbe dachten. Michelin war nicht hinter Cencerro und seinen Männern her und auch nicht hinter den Kämpfern in den Bergen, den Kommunisten oder irgendwelchen subversiven Elementen, es ging ihm einzig und allein um seine Beförderung. Am wichtigsten war die Illusion, dass der seidene Faden, an dem eine Villa mit Garten in einer angenehmen Provinzhauptstadt hing, noch nicht endgültig gerissen war. Er wollte sich einreden, dass er noch eine Zukunft hatte jenseits der Kaserne von Fuensanta de Martos. Daran dachte er und an nichts anderes.
    Nur aus diesem Grund hatte er die Zellen mit Menschen gefüllt, Joaquín halb totschlagen lassen und den Köder geschluckt, den ihm Cencerro in Form einer so vielversprechenden Denunziation vor die Nase gehalten hatte, die natürlich nur eine Falle sein konnte. Selbst er, der die Berge nicht halb so gut kannte wie ich, und ich hatte keine Ahnung im Vergleich zu den Männern, die seit zehn Jahren da oben lebten, hatte es bemerkt, wollte es aber nicht wahrhaben. Dass Cencerro, statt die Flucht nach vorne anzutreten, sich zurückziehen würde, war glaubhaft. Dass er versuchen würde, den Umweg zu nehmen, wo man ihn am wenigsten erwartete, ebenfalls. Aber dass er einer Hundertschaft von Männern befohlen hatte, vielleicht sogar noch mehr, in kleinen Gruppen von zwei oder drei Leuten eine Straße an einer der befahrensten Stellen überhaupt zu überqueren, war genauso unglaubwürdig, wie dass alle auf demselben Weg dorthin gelangen sollten, über den Bizca-Hof, den See und den Mona-Hang. Michelin hatte nie einen dieser Orte gesehen, er kannte weder ihre Eigenarten noch die Pfade oder Entfernungen zwischen ihnen. Er wusste gar nicht, was er da sagte. Er hatte keine Ahnung, doch nach der Denunziation wusste er noch weniger als zuvor, nur dass dieser seidene Faden, an dem der Traum von seiner Zukunft hing, zu reißen begann.
    »Und jetzt …« Mutter versuchte, ihn aus der Versenkung zu holen, in die ihn sein letzter Gedanke gestürzt hatte. »Was wollen Sie tun?«
    »Ich brauche ein Funkgerät. Ich muss meine Männer erreichen und sie über die letzten Ereignisse informieren. Sie müssen ihre jetzigen Stellungen aufgeben und andere einnehmen, um die Informationen, die ich erhalten habe, bestätigen oder verwerfen zu können. Ich brauche ein Funkgerät und den Jeep.« Er hielt inne und sah mich an. »Nino, du musst zur Kreuzung und deinem Vater Bescheid geben.«
    »Nein!« Mutter sprang auf, stützte sich auf den Tisch, beugte sich vor und schrie dem Leutnant ins Gesicht. »Nein, nein und nochmals nein! Haben Sie verstanden? Ich lasse nicht zu, dass mein Junge heute Nacht das Haus verlässt. Er wird nirgendwo hingehen.«
    »Er muss, Mercedes.« Er sprach genauso leise wie zuvor. »Es ist die einzige …«
    »Nein!« Sie schlug die Fäuste auf den Tisch, so wütend, wie ich sie noch nie erlebt hatte, und in ihren Augen lauerte ein unheilvoller dunkler Schatten. »Gehen Sie doch selbst. Holen Sie sich Ihren Jeep und Ihr Funkgerät …«
    »Das geht nicht. Die Dienstordnung …«
    »Ich scheiße auf die Dienstordnung!« Der Schatten wuchs, wurde dunkler und stärker. »Die Dienstordnung kann nicht verlangen, dass ein elfjähriger Junge sein Leben riskiert.«
    »Ich kann auch schreien, Mercedes.« Michelin stand derart unvermittelt auf, dass der Tisch ins Schwanken geriet und sein Notizbuch und ein Fingerhut herunterrutschten. Letzterer rollte fröhlich klirrend über den Boden, bis er gegen die Wand prallte. »Ich kann auch schreien, und ich habe hier das Sagen.«
    »Nicht über meinen Sohn.« Sie war immer noch standfest.
    »Auch über deinen Sohn, denn ich bin der Chef seines Vaters. Ich muss dir wohl nicht erst erklären, was das bedeutet.«
    »Es ist mir egal.«
    »Ach ja? Dann …«
    Während der Leutnant noch nach einer Drohung suchte, mit der er sie einschüchtern konnte, mischte ich mich ein.
    »Lass mich gehen, Mutter.« Ich machte einen Schritt auf sie zu, nahm ihre Hand und legte den Kopf auf ihren dicken Bauch. »Mir wird nichts passieren.«
    »Kommt nicht in Frage.« Sie sah mich mit funkensprühenden Augen an und zog die Brauen zusammen, als sie sah, wie ruhig ich war. »Du gehst nirgendwohin.«
    »Mir wird keiner was tun«, beharrte ich und

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