Der Feind meines Vaters - Roman
neuen Namen brauchen«, sagte sie. »Wie sollen wir dich nennen?«
»Carajita«, antwortete ich, und sie lachte.
»Carajita? Das geht nicht. Du brauchst einen gewöhnlichen Namen, Juan, Pedro, Miguel …«
»Nein.« Ich hielt inne, damit sie verstand, dass es mir ernst war. »Es ist nicht das erste Mal, dass ich für die Partei arbeite, weißt du. Man hat mich immer so genannt, und ich habe nie Probleme damit gehabt, nicht einmal in Jaén, wo alle einen Spitznamen haben. Carajita war der Spitzname meines Großvaters, aber mein Vater hat ihn nie erwähnt, weil er nicht wollte, dass man ihn mit jemandem in Verbindung brachte, der an die Wand gestellt worden war.«
»Na gut.« Sie errötete schon wieder, als schämte sie sich dafür, dass aus ihrer Familie niemand nach dem Krieg erschossen worden war. »Dann Carajita, wenn du darauf bestehst. Obwohl eigentlich …«
Sie lachte, und dann verstummte sie plötzlich.
»Eigentlich was?«, fragte ich, denn ich wusste genau, was sie antworten würde, und wollte es hören.
»Nein, nichts. Ich bin schon zu oft ins Fettnäpfchen getreten.«
»Na ja«, sagte ich und lachte. »Auf einmal mehr kommt es jetzt auch nicht mehr an. Also, sag schon.«
»Nun, ich meinte nur … ich weiß nicht, abgesehen von dem Namen ist diese Verkleinerung eigentlich nicht besonders passend.«
»Du irrst.« Ich stand auf und ging zum Tresen, um zu zahlen, und sie folgte mir. »In meinem Dorf machen wir das so, weißt du. Dort nennen sie mich immer noch Knirps.« Ich blickte auf sie herab. »Weil ich so klein war. Wenn du willst, können wir ja mal hinfahren. Du brauchst es nur zu sagen.«
Sie brauchte nicht lange, um es zu wollen, oder um mir zu sagen, dass sie in Wirklichkeit Maribel hieß. Auch nicht, um herauszufinden, dass mein Vater bei der Guardia Civil war, trotzdem wollte sie immer noch. Auch ich wollte, und ich wollte sie. 1964 heirateten wir. Zehn Jahre später hörte ich im Gefängnis zum ersten Mal von Camilo.
Als ich durch eine winzige dämliche Fehleinschätzung aufflog, war ich bereits Professor an der Universität, ich verdiente mehr als Paquito, Maribel hatte mich mit einer anderen erwischt und war ausgezogen, und ich hatte tausendmal gesagt, nein, nein, nein, auf keinen Fall, und war herumgelaufen wie ein Zombie, bis ich sie überredet hatte zurückzukommen. Ich war viel verliebter in sie als an dem Tag, an dem wir geheiratet hatten, und wir hatten einen Sohn. Zudem bekleidete ich eine wichtige Stellung in der Parteiführung von Granada, zum Teil aufgrund meines eigenen Rufes, zum Teil, weil alle anderen Parteiführer nacheinander aufgeflogen waren. Bis Weihnachten 1973 waren es nur noch wenige Tage, und seit dreizehn Jahren arbeitete ich im Untergrund, ohne auch nur einmal zu stolpern. Mehrere Male hätten sie mich um ein Haar erwischt, aber ein sechster Sinn hatte mich immer wieder gerettet, eine Intuition, die für alle, die nicht in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre in einem kleinen Dorf wie Fuensanta de Martos aufgewachsen waren, unerklärlich war.
Ich hatte die Berge verlassen, sie aber hatten mich nie verlassen. Die Erinnerung an sie war mir in Fleisch und Blut übergegangen, sie beschützte mich, schärfte meine Sinne, meine Reflexe, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren und erinnerte mich immer rechtzeitig an die Anzahl und die Namen, an die Gesichter und die Taten der Verräter. Die Berge waren schuld, dass ich mich fünfzig Meter vor einem Treffen bückte, um mir meinen Schuh zuzubinden. Die Berge sagten mir, dass der bärtige Kerl, der wie ein linker Student aussah und einen blauen Dufflecoat trug, zu oft auf die Uhr blickte, um kein Polizist zu sein, oder dass ich auf keinen Fall umkehren, sondern einen Laden betreten, nach dem Preis von diesem oder jenem fragen sollte, etwas Billiges kaufen und langsam den Laden verlassen, mit der Einkaufstasche in der Hand und ohne zu laufen.
Wenn ich dann drei oder vier Stunden später als üblich nach Hause kam, erzählte mir Mirabel ebenso wach, ebenso verzweifelt und mit denselben verquollenen Augen, die ich so oft bei meiner Mutter gesehen hatte, wenn sie in der Küche der Wohnkaserne wartete, dass mein Kontaktmann verhaftet und weitere fünf oder sechs Genossen aufgeflogen seien und es an ein Wunder grenze, dass man mich nicht erwischt hatte. Wie machst du das nur?, fragte sie, während wir uns hastig, ungeduldig die Kleider vom Leib rissen und ich ihr sagte, ich wüsste es nicht, bis wir aufhörten, zu reden
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