Der Feind meines Vaters - Roman
und wie rasend vögelten, um die mangelnde Effizienz der Politischen Polizei zu feiern.
Auch an jenem Dezembernachmittag des Jahres 1973 warnten mich die Berge. Und obwohl ich noch nie an einem derart stümperhaft organisierten Treffen teilgenommen hatte, kehrte ich, nachdem ich bereits die Straße überquert hatte und einige Meter gegangen war, wieder um und ging in das Rattenloch zurück, weil ich meinte, es wäre noch Zeit, um alles abzublasen. Santi war mein Student, ich hatte ihn für die Partei rekrutiert, und ich wollte ihn nicht im Stich lassen, obwohl er keine der Vorsichtsmaßnahmen eingehalten hatte, die ich ihm seit Monaten eintrichterte. Ich wollte nur das tun, hinaufgehen, klingeln und ihnen sagen, dass sie die Versammlung auflösen, einzeln das Haus verlassen und in verschiedene Richtungen gehen sollten, doch dazu kam ich nicht mehr. Die Politische Polizei hatte jemanden in unsere Reihen eingeschleust, und der legte mir jetzt die Handschellen an. Du bist also Carajita, wir konnten es kaum erwarten, dein Gesicht zu sehen. Dann erklärte er mir, ich könne mich auf was gefasst machen, doch das hätte er sich sparen können. Ich machte mich schon seit Jahren auf etwas gefasst, und außerdem war die Festnahme für mich auch irgendwie eine Erleichterung. Als seine Vorgesetzten erfuhren, dass mein Vater Gefreiter bei der Guardia Civil war, fragten sie, ob ich mich nicht schämte, aber sie krümmten mir kein Haar, auch dann nicht, als ich verneinte.
Als ich ins Gefängnis kam, waren meine Genossen noch erschüttert über die Verhaftung von Camilo, legendäres Mitglied der Partei und Held des Untergrunds, dessen Identität nicht einmal dem größten Teil des inneren Führungszirkels bekannt war. Er war ein paar Monate vor mir verhaftet worden. Im Gefängnis von Carabanchel sagte man, er sei sogar froh darüber gewesen, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, dass er so lange davongekommen war, und befürchtete, man würde ihn für einen Verräter oder einen Spitzel halten. Ich konnte das sehr gut verstehen, auch wenn ich schwieg. Ich dachte auch nicht, dass dieser Mann und ich etwas Gemeinsames haben könnten, weil ich nie erfuhr, woher die Nachricht stammte, die mir ein Genosse im Frühjahr 1974 im Gefängnishof mitteilte.
»Hör mal, Nino, kommst du nicht aus einem Dorf in Jaén?« Ich nickte. »Dann musst du es sein …«
»Ich?« Ich verstand nicht. »Was meinst du?«
»Ach, nichts. Nur dass ich heute Morgen meinen Anwalt gesprochen habe und er mich gebeten hat, dir zu sagen, dass man letzte Woche in einem Olivenhain, mehr als hundert Kilometer von seinem Haus entfernt, einen Mann ermordet aufgefunden hat, der Toribio Soundso hieß. Offensichtlich ist er gehängt worden, aber ich weiß nicht … Sagt dir der Name etwas?«
»Ja.« Ich nickte und lächelte, weil man einem Verräter nicht nachweint. »Sie nannten ihn Carambita, und er sagt mir sehr viel.«
Ich bekam zwanzig Jahre, feierte Francos Tod im Gefängnis, musste aber nur zweieinhalb absitzen, da ich 1976 unter die Teilamnestie für politische Vergehen fiel. Damals hatte ich Camilo bereits vergessen, und in einer der ersten Nächte des Aprils 1977, als ich nach dem Abendessen mit Maribel vor dem Fernseher saß, weil man uns erzählt hatte, dass im zweiten Programm ein Film über die Entlassung der letzten Gefangenen aus dem Carabanchel-Gefängnis laufen würde, konnte ich kaum glauben, was ich da sah.
Zuerst war ich sprachlos, als ich Paula zwischen den Frauen erkannte. Mit ihren ernsten Mienen und angespannten Gesichtern unterschieden sie sich von den anderen jungen Aktivisten, die mit ihnen vor dem Gefängnistor warteten und vor Freude schrien und jubelten. Dann zeigten die Kameras Nahaufnahmen, und ich sah Paula, die Größte von allen, gleich zwei Mal. Die junge Frau neben ihr musste ihre Tochter sein, denn sie sah genauso aus wie sie und hatte dasselbe Alter wie ihre Mutter, als ich sie kennengelernt hatte.
»Das kann nicht sein«, murmelte ich und erkannte, ohne dass ich ihn jemals gesehen hätte, auch die Gesichtszüge des Jungen, der neben ihr stand. Im gleichen Augenblick rief Maribel:
»Das ist Simón …« Es war Simón, doch ich konnte nicht einmal nicken. »Das ist Simón! Und der andere muss Lobato sein, nicht? Nino!«
Sie stieß mich mit dem Ellbogen an, doch ich antwortete immer noch nicht, ich konnte nicht reagieren. Ich sah sie nicht einmal an, ich konnte sie nicht ansehen, ich konnte weder sprechen noch mich bewegen und
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