Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
Vom Netzwerk:
kaum atmen. Vor der Kamera stand er, Pepe, der Portugiese, dreißig Jahre später, eine Schwarzweißaufnahme, in der alle Farben der Welt hineinpassten, die strahlend weißen Zähne, der eine immer noch schief abgebrochen wie die Klinge eines Messers, und weiße Strähnen dort, wo die Sonne sein Haar einst golden gefärbt hatte, das Gesicht bleich, faltig, der rechte Arm erhoben, die Faust geballt, damit jeder sie sah. All das sah ich, und auch Fuensanta de Martos, die alte Mühle, die Olivenbäume, den Fluss, die Krebse, die Forellen, Jules Vernes Bücher, eine Liebe, die stärker war als die Liebe, und das Kind, das ich damals gewesen war und das noch keine Ahnung hatte, was für ein Mensch eines Tages aus ihm werden würde. All das konnte ich sehen, all das fühlte ich, während die unpersönliche Stimme des Sprechers über Camilo berichtete und seinen langen Weg als Freiheitskämpfer.
    »Nino, was hast du?« Auf dem Bildschirm lief jetzt nur noch Werbung für Autos, Elektrogeräte, Waschmittel oder Kölnischwasser, trotzdem konnte ich den Blick nicht abwenden. »Warum weinst du, Nino? Sag was, bitte …«
    In jener Nacht rief ich Pepe zum ersten Mal im Leben an. In der Parteizentrale in Madrid sagte man mir, dass er schlafe und sie nicht befugt seien, mir seine Nummer geben, aber ich hinterließ ihnen die meine und nannte meinen Namen, Nino. Er rief sofort zurück.
    »Ich bin sehr stolz auf dich, Carajita«, sagte er, und da wäre ich fast noch einmal in Tränen ausgebrochen, weil er alles wusste, immer noch alles wusste, nach so vielen Jahren.
    Ich war in jener Nacht so aufgewühlt, dass ich keinen Schlaf fand. Stundenlang versuchte ich, Mirabel zu erklären, was dieser Mann für mich bedeutet hatte, und am Ende hatte ich das Gefühl, es nicht geschafft zu haben, aber sie sagte, dass sie mich nach Madrid begleiten wollte, um ihn kennenzulernen, und ich glaube, dass sie es besser verstand, als sie hörte, wie wir über die Toten und die Lebenden sprachen.
    Bei den ersten demokratischen Wahlen bekleidete José Moya Aguilera, alias Pepe, der Portugiese, alias Juan Sánchez, alias Miguel Montero, alias Jorge Martínez, alias Camilo, den ersten Platz auf der Liste, die die Kommunistische Partei Spaniens für die Provinz Jaén einreichte. Mein Name stand an letzter Stelle.
    Es war eine Art, die Gegenwart der Lebenden und die Erinnerung an die Toten zu ehren, ein symbolischer Lorbeerkranz für die Berge und das Tal, das endgültige, glückliche Ende, das die verdienten, die weggegangen und noch mehr die, die geblieben waren.
    Es musste allerdings ein schwerwiegender strategischer Irrtum gewesen sein, denn keiner von uns beiden brachte es je zum Abgeordneten.

Ninos Geschichte
Anmerkung der Autorin

Im Frühjahr 2004, wenige Monate bevor ich anfing, Das gefrorene Herz zu schreiben, reiste ich mit meinem Mann Luis García Montero und dessen wunderbarem alten Freund Cristino Pérez Meléndez durch das ehemalige spanische Protektorat in Nordmarokko.
    Cristino, Psychologieprofessor an der Universität von Granada und ein Liebhaber dieser Gegend, war unser Fahrer und Führer während jener unvergesslichen Tage. Ich selbst erwartete nur die Freude, Asilah oder Arcila, wie wir zu Hause sagten, kennenzulernen, eine Stadt in Nordafrika, die früher ebenfalls spanisch war und sehr viel mit meiner eigenen Geschichte zu tun hat.
    In Asilah wuchs meine Großmutter Francisca auf. Aus unerfindlichen Gründen war sie als Kind von meiner Urgroßmutter Isabel García aus einem Dorf namens Alhaurín el Grande in der Nähe von Málaga dorthin gebracht worden. Mein Urgroßvater Rafael Martín, eine nebulöse Gestalt, von der ich nur den Namen kenne und eine zweifelhafte, im Flüsterton vorgebrachte und daher vermutlich wahre Legende, die besagt, dass er vom Schmuggel lebte, war nicht bei ihnen. Viel später, diesmal vor dem wirren Hintergrund des Bürgerkrieges, wuchs auch meine Mutter Benita Hernández, alias Moni, in Asilah auf, nachdem sie ihre Geburtsstadt Madrid zu Fuß verlassen hatte. Jahre später sollte sie zusammen mit ihren sechs Brüdern, ihrer Großmutter Isabel, die schon Erfahrung mit dieser Art von Reisen hatte, und ihrer Mutter dorthin zurückkehren, um es dann nie im Leben wieder zu verlassen. Unterdessen hatte meine Großmutter Francisca ihren Mann in einem spanischen Gefängnis zurückgelassen und beschlossen, sich im Haus ihrer Schwiegermutter in Casablanca niederzulassen, einer wunderbaren, beeindruckenden

Weitere Kostenlose Bücher