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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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nicht.
    »Eines Tages bist du größer als ich, Knirps.«
    »Ich werde dich sehr vermissen, Pepe.«
    » Ich dich auch, Genosse.« Da brach seine Stimme. »Ich dich auch …«

IV. TEIL
    Ein Krieg, der nie
enden wird

Elf Jahre vergingen, ehe mich wieder jemand Genosse nannte.
    Das Treffen sollte um halb sechs stattfinden, Pedro Antonino de Alarcón, Ecke Recogidas. Ich kam zehn Minuten zu früh, weil ich erst zwei Monate in Granada wohnte und die Stadt noch nicht gut genug kannte. Nachdem ich die Straße gefunden hatte, betrat ich die gegenüberliegende Bar, bestellte einen Kaffee und schlug die Zeitung auf. Sie kam fast eine Viertelstunde zu spät, verhielt sich wie jemand, der keinen Grund hat, vorsichtig zu sein, und entschuldigte sich nicht.
    »Warum willst du dich uns anschließen?«, fragte sie unvermittelt, nachdem sie sich als Nieves vorgestellt und eine vage Handbewegung gemacht hatte, um mir zu bedeuten, dass sie lieber eine Runde drehen wollte.
    »Na ja, darum geht es eigentlich nicht.« Als ich sah, dass meine Antwort sie erschreckt hatte, lächelte ich. »Ich meine, ich muss mich euch nicht anschließen, weil ich schon immer einer von euch war.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch, und ich hörte die Stimme des Portugiesen, was für ein Mensch willst du sein, Nino? Wem willst du ähnlich sein? Und ich sah seinen Blick, der an jenem Nachmittag am Fluss auf mich gerichtet war.
    »Ich wurde von einem Mann in meinem Dorf rekrutiert, als ich zehn Jahre alt war.« Doch die Erklärung beeindruckte sie nicht.
    »Pass auf, Genosse, wir sind nicht hier, um Witze zu reißen«, sagte sie mit einem überheblichen Lächeln.
    »Witze? Das ist kein Witz. Mein Dorf liegt in Jaén, in der Sierra Sur, und ich spreche vom bewaffneten Widerstand, von Männern wie Cencerro. Sagt dir der Name etwas?«
    »Nein«, erwiderte sie in einem ebenso arroganten Tonfall, in den sie sich, wie ich bald herausfinden sollte, stets flüchtete, wenn sie unsicher war. »Ich weiß nur, dass der bewaffnete Widerstand ein schwerwiegender strategischer Irrtum war.«
    »Ein schwerwiegender strategischer Irrtum …«, wiederholte ich und blickte sie dabei an.
    Sie war jünger als ich, und ich selbst war 1960 noch ziemlich jung, und sie war auch erheblich kleiner, aber damals hatte ich mich bereits daran gewöhnt, dass mir die Frauen höchstens bis zum Kinn reichten. Sie hatte sehr blaue Augen, kastanienbraune Locken und ein interessantes Gesicht. Ohne die Brille wäre sie durchschnittlich hübsch gewesen, ein bisschen altmodisch mit einem sehr kleinen Mund, wie eine Porzellanpuppe, doch die Brille machte sie stark und ernst und verlieh ihrem Blick etwas Herausforderndes. Schade, sagte ich mir und dachte, dass wir nichts mehr zu bereden hätten, doch im gleichen Moment nahm sie mich am Arm und änderte ihren Tonfall.
    »Tut mir leid.« Aufgeweckt war sie auch. »Ich wollte dich nicht beleidigen.«
    »Das hast du aber getan.« Plötzlich sah ich meine ganze Kindheit vor mir. »Sehr sogar.«
    »Es tut mir leid«, wiederholte sie, schloss die Augen und biss sich auf die Unterlippe. »Sollen wir weitergehen?«
    Ich nickte und machte wortlos ein paar Schritte, während ich spürte, dass zwischen ihr und mir viele Menschen standen, der einäugige Joaquín mit gebrochenen Knochen und erhobenem Haupt, Cuellodoro, der weinend seinen hilflosen Körper über die Straße trug, Laureano, der schrie, damit sie ihm in die Augen sahen, bevor sie ihn erschossen, sein Vater, der nach hinten fiel, in diesem dunklen, karierten Hemd, in das meine Träume ihn steckten, Sanchís, der sich die Waffe an die Schläfe hielt, Pastora, die die Totenwache für einen für Gott und Vaterland Gefallenen hielt, der verwundete Saltacharquitos und seine Frau, die darum flehte, ihr nicht auf den Bauch zu schlagen, Catalina la Rubia mit der Todesnachricht ihres Sohnes Francisco und drei weiterer Widerstandskämpfer aus Galicien, die mit ihm gestorben waren, Carmela Pesetilla, die an dem Türeingang ihres Hauses lehnte, um uns vorbeiziehen zu sehen, die schwarzen Kleider auf dem Balkon ihres Hauses, auf dem der Chapines und dem der Fingenegocios, der anonyme Kämpfer, den niemand anhand der französischen Adresse eines spanischen Restaurants identifizieren konnte, die er in der Hosentasche trug, die Filmmusik aus den Horrorfilmen, die ich gehört hatte, während meine Schwester Dulce mir etwas vorsang und später ich meiner kleinen Schwester Pepa, Tomás Villén Roldán und José Crispín

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