Der Feind meines Vaters - Roman
Abenteurerin, meiner Urgroßmutter. Benita Alonso de la Iglesia war ein echtes Geschenk für mich als Schriftstellerin und ist möglicherweise meine liebste Vorfahrin überhaupt. Als sich Franciscas Plan aus Gründen zerschlug, die ich noch nicht gänzlich kenne, aber eines Tages in einem Buch verarbeiten möchte, zog sie mit ihrer Mutter und ihren sieben Kindern durch halb Marokko nach Asilah, um dort im Haus einer Jugendfreundin Unterschlupf zu suchen.
Als wir uns Asilah näherten, musste ich weinen bei dem Gedanken an die zwei einsamen Frauen, so weit weg von zu Hause, meine Urgroßmutter und meine Großmutter mit ihren vielen Kindern, aber auch an ihre Töchter, zwei spanische Mädchen, meine Großmutter und meine Mutter. Sie erschienen mir plötzlich kleiner, verlorener und rührender denn je zuvor, wenn ich sie mir in einer prächtigen und zugleich fremden Schönheit vorgestellt hatte. Möglich, dass meine Tränen eine Atmosphäre des Vertrauens schufen, denn auf der Rückfahrt nach Tanger, wo wir übernachten wollten, erzählte mir Cristino eine Geschichte aus seiner Kindheit, in der ich sofort den Stoff für einen Roman entdeckte.
Der Feind meines Vaters ist dieser Roman, Cristinos Roman. In jener Nacht erzählte er mir von Cencerro, von seinem Mut, seiner Überheblichkeit, den signierten Geldscheinen und seinem heldenhaften Tod. Und er erzählte mir, wie das Leben als Sohn eines Guardia Civil war, der in einer Kaserne wie der von Fuensanta de Martos lebte. Wo die Wände keine Geheimnisse zurückhalten konnten und die Schreie der Verhafteten bis zu den Betten der Kinder vordrangen. Hier erfuhr er eines Nachts auch von der Sorge seines Vaters um einen Sohn, der nicht schnell genug wuchs, um in die Guardia Civil aufgenommen zu werden, woraufhin er ihn zwang, bei einem Kollegen, der ihm nur Fingerübungen beibrachte, Schreibmaschine zu lernen.
Als ich ernsthaft darüber nachdachte, diesen Roman zu schreiben, und begann, über Cencerro zu recherchieren, stellte ich verwundert fest, dass er bereits zwei Jahre vor Cristinos Geburt gestorben war. Nach einem kurzen Augenblick der Verblüffung – denn niemand, der Cristinos bewegte, ehrliche Stimme gehört hatte, hätte sich vorstellen können, dass er eine Geschichte erzählte, die er gar nicht erlebt hatte –, wurde mir klar, dass ich sie gerade deshalb erzählen musste. Eben weil Tomás Villén Roldán, der am 17. Juli 1947 in Valdepeñas de Jaén starb, nicht wirklich gestorben war, jedenfalls nicht, solange ein Bewohner von Fuensanta, der 1949 geboren war, mehr als fünfzig Jahre später so über ihn erzählen konnte, als hätte er ihn selbst gekannt.
Obwohl mir diese Feststellung allein gereicht hätte, reiste ich im Juli 2009, Monate nach Fertigstellung der ersten Fassung von Der Feind meines Vaters , mit Hilfe von Juan Carlos Abril im Auto durch die Dörfer der Sierra Sur. Und als er, der in Los Villares geboren wurde und die Gegend wie seine Westentasche kennt, auf einige alte Herren zuging, die morgens auf dem Platz von Valdepeñas de Jaén in der Sonne saßen, um sie nach dem Haus zu fragen, in dem Cencerro getötet worden war, antwortete einer: »Niemand hat Cencerro getötet, er hat sich selbst umgebracht.« Dann wies er uns den Weg zu einem Ort, den in Valdepeñas auch heute noch jedes zehnjährige Kind kennt.
Bei dem Haus, das an jenes grenzt, wo Cencerros Leben ein Ende fand und der Mythos des bekanntesten Widerstandskämpfers der Sierra Sur entstand, bat mich ein sehr freundlicher Mann herein, den ich in der Aufregung nicht nach seinem Namen fragte. Er zeigte mir später den Fluss und erklärte mir, bis wohin die hinteren Fassaden der beiden Häuser im Jahre 1947 reichten. Er verriet mir auch den Spitznamen des Mannes, den die Bewohner von Valdepeñas immer für den Verräter gehalten hatten. Es war Pilatos, ein Dorfbewohner, der nie wieder einen Fuß in sein Dorf setzte und als Parkwächter in Jaén starb, jedoch nicht, ohne mir zuvor einige Details zu offenbaren, die ich in keinem Buch hätte finden können. Dass Cencerro und Crispín in der Ferne zwei als Müller verkleidete Männer der Guardia Civil gesehen hätten. Dass seine Mutter immer erzählt habe, Cencerro – der siebenunddreißig Jahre alt war, als er 1940 in die Berge ging, den wenigen erhaltenen Fotos nach gutaussehend, aber nicht gerade ein Filmstar – sei ein bemerkenswerter Mann gewesen, ungewöhnlich attraktiv, groß, stark und blond. Dass ein Onkel von ihm, der sich später
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