Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
Vom Netzwerk:
bin’s!«
    Er tauchte mit dem Gewehr in der Hand oben am Hang auf, und plötzlich verstand ich selbst nicht mehr, dass ich Zweifel gehabt und um ihn gebangt hatte. Vielleicht weil er hier fremd war, weil er allein lebte, denn er hatte nicht dieselben Wurzeln wie wir, obwohl auch das nicht viel hieß. In diesem Augenblick würde es in den alten Häusern vieler Familien meines Dorfes und der Nachbardörfer Menschen geben, vor allem Männer, aber auch die eine oder andere Frau, die ihre Siebensachen packten, saubere Unterwäsche, etwas zu essen, ein Foto oder ein Buch. Diejenigen, die am meisten Angst hatten, würden vielleicht auf die Siesta setzen, wenn alles schlief, die Straßen menschenleer dalagen und die Sonne unerbittlich auf die geschlossenen Türen und Fenster brannte. Andere würden bis zum Abend warten, aber in der Nacht, wenn man sie abholen kam, wäre niemand mehr zu Hause.
    Es war immer so, immer gleich, Berg und Tal atmeten im selben Takt, dieselbe Luft, und wenn oben etwas schieflief, trugen die da unten die Konsequenzen, es sei denn, sie waren schnell und tapfer genug, um einen Hang hinaufzulaufen, von dem es keine Rückkehr gab. Das Leben in den Bergen war hart, aber in den Tälern konnte es noch schlimmer sein oder sogar von einem Augenblick auf den anderen enden. Diejenigen, die flohen, waren noch keine Freischärler, doch diese konnten ohne sie nicht überleben, und das war der Guardia Civil klar. Sie wusste, dass man ihnen Zuflucht gewährte und sie mit Proviant und Medikamenten versorgte, und deshalb kam sie immer nachts, um jemanden abzuholen. Die Beamten erklärten dem Verdächtigen, er müsse nur eine Aussage machen, und später ließen sie ihn laufen: »So, jetzt kannst du gehen, aber so, dass wir dich sehen«, dann schossen sie ihm in den Rücken. Am nächsten Tag hieß es, er hätte zu fliehen versucht. Ich wusste es, Paquito wusste es, auch Miguel und seine Eltern, seine Geschwister, seine Nachbarn, wir alle wussten es und taten so, als wüssten wir von nichts, ich am meisten, aber in Wirklichkeit wussten wir alles, auch dass in jener Nacht eine Razzia stattfand und der Widerstand am nächsten Tag einige Unterstützer weniger im Tal hätte, dafür einige Kämpfer mehr in den Bergen. Ohne zu wissen, warum, fürchtete ich, dass der Portugiese dazugehören könnte, aber er war in seiner Mühle und freute sich, als er uns kommen sah.
    »Und wer ist diese hübsche Kleine?« Er legte das Gewehr weg und kam uns entgegen. Das letzte Stück trug er Pepa auf dem Arm.
    »Meine Schwester. Vater hat mir aufgetragen, sie mitzunehmen.«
    »Ach ja?« Er wandte mir den Kopf zu und runzelte die Stirn. »Warum denn?«
    »Ich weiß nicht … Er musste nach Martos und wollte nicht, dass wir in der Kaserne bleiben. Du hast doch von Cencerro gehört, oder?«
    Pepe stand ruhig vor seinem Haus, mit meiner kleinen Schwester auf dem Arm, trotzdem beobachtete ich ihn aufmerksam und bemerkte, dass sich auf seinem Gesicht nicht ein einziger Muskel mehr als notwendig regte, als er mir antwortete.
    »Dass sie ihn in Valdepeñas getötet haben. Ja, das habe ich gehört.«
    »Nicht sie haben ihn getötet«, berichtigte ich ihn, und diesmal beobachtete der Portugiese mich. »Er hat sich selbst umgebracht. Das ist nicht dasselbe.«
    Er schwieg einen Moment und musterte mein Gesicht, als hätte er es noch nie gesehen. Dann erschien auf dem seinen ein fast belustigter Ausdruck, obwohl er kaum den Mund verzog.
    »Das hast du gesagt.«
    In diesem Moment jammerte meine Schwester, sie hätte Hunger, und ich hatte keine Zeit mehr zu antworten, ja, das hätte ich gesagt und würde es, wenn nötig, immer wieder sagen: dass Cencerro so gestorben war, wie er gelebt hatte, mit mehr Mumm als Gott und der Teufel zusammen. Bestimmt hätte ich es bereut, denn das, was ich gerade sagen wollte, als Pepa mich unterbrach, hatte ich mehrmals vor Cuelloduros Bar aufgeschnappt, wenn ich dort vorbeikam. Wie auch immer, an diesem Nachmittag fehlte es mir an Energie, darauf zu beharren, weil auch ich einen Bärenhunger hatte.
    »Ihr habt noch nicht gegessen? Ich auch nicht. In der Küche gibt es Brot und Chorizo. Wenn ihr wollt, können wir uns hier draußen hinsetzen, für drei müsste es reichen.«
    Viele Jahre später sollte ich verstehen, dass wir ihm gerade einen Vorwand geliefert hatten für das, was unmittelbar darauf geschah, doch in dem Augenblick dachte ich lediglich, dass nur der Portugiese so einen schönen Vorschlag machen könnte.

Weitere Kostenlose Bücher