Der Feind meines Vaters - Roman
denen ihr sämtliche Knochen gebrochen habt, und ich werde nicht den Mut haben, ihnen ins Gesicht zu sehen, hörst du? Ich kann es nicht, verstehst du das? Und deine Kinder werden zum Spielen auf die Straße gehen, und die anderen Kinder wollen nichts mit ihnen zu tun haben, sie werden behandelt wie Aussätzige, und du wirst nichts davon mitbekommen, wie denn auch, du trägst ja eine Uniform …«
Ich hörte diese Leier nicht zum ersten Mal, diese monotone Stimme, die bei jeder Silbe ein Stück Faden verlor und so kaum das Ende des Wortes erreichte, aber gerade noch die Kraft aufbrachte, die erste Silbe des nächsten Wortes auszusprechen, um dann ganz langsam wieder zu verstummen. Ich hatte ähnliche Vorwürfe gehört, doch nie hatten sie so geendet.
»Was ist mit dir, Antonino?« Plötzlich war Mutter wieder sie selbst, sprach so, wie sie immer sprach, und ihre schnellen Schritte hallten auf dem Boden wider. »Was hast du?«
Sie erhielt keine Antwort, nur ein heiseres gutturales Geräusch, als wäre die Zeit irregeworden, als wäre der Lärm aus den Zellen von allein wiederauferstanden und hätte sich in unserer Küche ausgebreitet, wo meine Eltern ganz allein waren. Deshalb stand ich auf, kletterte über Pepa hinweg aus dem Bett, schob sie gegen die Wand, damit sie nicht herausfiel, und schlich auf Zehenspitzen zur Tür, die zum Glück oder Unglück nicht ganz geschlossen war. So sah ich zum ersten und letzten Mal im Leben meinen Vater weinen.
»Du warst nicht in Martos, Mercedes, du hast nicht gesehen …« Er hob das Gesicht, das er bis dahin in den Armen auf dem Tisch vergraben hatte, und die Furchen, die die Tränen auf seinen unrasierten Wangen hinterlassen hatten, beeindruckten mich mehr als die Tiefe, aus der seine Stimme aufstieg. »Aber ich war da, reglos, stumm, ohne etwas zu tun, Scheißkerl, der ich bin …«
»Sei still, Antonino.« Meine Mutter sah sich um, als könnten jeden Moment Ohren aus der Wand wachsen, aber sie entdeckte mich nicht. »Man kann dich hören.«
»Auf diesem Platz waren zwei Männer, die Mumm in den Knochen hatten, nur zwei, und ich war keiner davon.«
»Nicht so laut, Antonino, um Gottes willen!«
»Nur zwei Männer, die Mumm hatten, der eine war tot, und der andere war der Hauptmann, der befahl, mit der Musik aufzuhören …«
»Sei still, Antonino, sei still!«
Mutter brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihn fest umarmte und zu Bett brachte, als wäre er eines ihrer Kinder. Auch ich kehrte in mein Bett zurück. Obwohl ich das Ohr an die Wand presste, verstand ich nur einzelne Worte eines unregelmäßigen Gemurmels, das noch nicht erloschen war, als ich einschlief. Vater sah ich am nächsten Morgen nicht, und Mutter, deren Augen verquollen waren wie in allen schlimmen Nächten, tat so, als wäre in der anderen Welt nichts Außergewöhnliches vorgefallen. Ich war sicher, dass sie uns auch an diesem Morgen nicht rauslassen würde, höchstens in den Hof. Doch es blieb ihr nichts anderes übrig, als uns in Sonntagskleidung zu stecken und mit uns in die Messe zu gehen, denn es war der 18. Juli, Nationalfeiertag, der zehnte Jahrestag der Erhebung gegen die Republik.
»Du hast ja keine Ahnung, was du gestern verpasst hast, Knirps.«
Mutter verließ das Haus auf den letzten Drücker, damit sie unterwegs niemanden grüßen musste, und eilte mit uns in die Kirche. Wir hätten genauso gut langsam gehen können, denn die Straßen waren wie leer gefegt, die Hälfte der Türen verriegelt, und auf dem Bürgersteig war keine Seele, der wir hätten ausweichen müssen. Doch einige Fassaden wirkten wie ein stummer Schrei, denn an diesem Tag hätte Fuensanta de Martos nur aus zwei Farben bestehen dürfen, dem Rot und dem Gelb der Papierfähnchen, die überall im Wind flatterten und sich wie die unruhigen, fröhlichen Fäden eines Spinnennetzes von der Mitte des Dorfplatzes ausbreiteten, aber es waren drei Farben. Sämtliche Familien, die Grund zum Trauern besaßen, hatten beschlossen, ausgerechnet an diesem Morgen ihre Wäsche zu waschen, und jetzt kämpften die schwarzen Kleider, die zum Trocknen auf den Balkonen hingen, mit ihrer subversiven Kundgebung für die Helden von Valdepeñas de Jaén gegen den Triumph der farbigen Papierfähnchen an.
»Und Sie …« Romero blieb vor Pesetillas Frau stehen, die als einzige gewagt hatte, am Eingang ihres Hauses zu erscheinen, um uns vorbeigehen zu sehen. »Wissen Sie nicht, dass heute Feiertag ist, Señora? Haben Sie nichts Besseres gefunden,
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