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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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wertvollen Uhr, die er angeblich stets bei sich trug. Das Gerücht stimmte, er fand sie und steckte sie ein. Mehr war nicht herauszuholen, also warfen sie die Leichen auf je einen Laster. Der erste fuhr nach Castillo de Locubín, Cencerros Dorf, und der zweite nach Martos, Crispíns Dorf. Unterwegs sangen die Militärs und Zivilisten, die sie begleiteten, das Lied von der Milchkuh, La vaca lechera .
    Mittlerweile war es bereits zwei Uhr nachmittags, und man kam auf die Idee, auch die Einwohner der umliegenden Dörfer zu versammeln. Die aus Valdepeñas, Alcaudete und Alcalá la Real sollten sich nach Castillo de Locubín begeben, die aus Torredonjimeno, Los Villares und Fuensanta nach Martos, und das war ein Befehl. Als Vater davon erfuhr, war ich noch nicht mit meiner Suppe fertig.
    »Antonino!« Mutter sah ihn hereinkommen und sprang so ungestüm auf, dass der Stuhl nach hinten kippte, doch sie hielt nicht einmal inne, um ihn wieder aufzustellen. »Gott sei Dank!«
    Er erwiderte ihre Umarmung kaum. Sein Gesicht war verzerrt, er hatte die Lippen fest zusammengepresst, und sein Blick war seltsam trüb, fast wässrig. Außerdem hatte er es sehr eilig.
    »Raus hier, alle«, murmelte er, während er uns Kinder der Reihe nach ansah. »Jetzt, sofort. Dulce, du gehst zu Encarnita nach Hause, das wird niemandem auffallen, bist ja sowieso immer da. Und du, Nino, nimmst Pepa mit.«
    »Wohin denn?«, fragte ich so verdutzt, als stellte sich in diesem Moment die Welt auf den Kopf.
    »Was weiß ich. Zur alten Mühle, zum Fluss, zum Dorflehrer, egal wohin, macht schon, raus mit euch.«
    »Aber Vater, ich bin nicht mal fertig mit essen und habe großen Hunger.«
    Bis dahin hatte ich das Ganze nicht ernst genommen, denn die Szene war nicht nur ungewöhnlich, sondern auch das krasse Gegenteil von allem, was ich immer wieder unverändert erlebt hatte. Und dann erinnerte ich mich daran, dass Vater nicht zum ersten Mal Befehle missachtete.
    Vor etwa einem Jahr hatte man Romero und ihm einen viertägigen Auftrag erteilt. Sie mussten vier Nächte außerhalb der Kaserne verbringen, in den am weitesten vom Dorf entfernten Höfen. Ein Routineauftrag, damals und an jenem Ort allerdings sehr gefährlich für die Guardia Civil. Doch sie hatten keine Wahl, und als ich aufstand, waren sie gerade bereit, aufzubrechen; sie hatten ihre Rucksäcke, ihre Wasserflaschen und einige Butterbrote für unterwegs. Auch das amtliche Formular, in das die Gutsbesitzer oder Bauern, die ihnen Kost und Logis zu gewähren hatten, Datum und Uhrzeit eintrugen. Es war Montag. Das weiß ich noch so genau, weil Vater mir einen Kuss gab und sich bis Freitag verabschiedete. Was ich nicht weiß, weil es mir niemand erzählte, ist, wie sie es anstellten, aber als ich von der Schule zurückkehrte, fand ich ihn bei verschlossenen Fensterläden im Schlafzimmer versteckt. Mutter erklärte, dass sie mich für immer aus dem Haus jagen würde und ich nicht mehr ihr Sohn wäre, wenn ich auch nur ein Wort darüber verlöre. Ich bekam einen Schreck, denn so hatte sie noch nie mit mir gesprochen, und versprach, niemandem etwas zu sagen. »Nicht mal Paquito«, beharrte sie. »Nicht mal Paquito«, antwortete ich, »aber was ist mit seinem Vater?« »Sein Vater macht es genauso wie deiner, also halt den Mund, hast du verstanden?« Nichts passierte, bis sich Vater am Freitag im Morgengrauen ankleidete, den Dreispitz aufsetzte, das Regencape überstreifte, Rucksack und Gewehr schulterte und sich um sechs Uhr aus dem Haus stahl. Um Viertel vor neun, als Paquito und ich die Wohnkaserne verließen, um zusammen in die Schule zu gehen, begegneten wir ihnen am Eingang in ihren verstaubten Regenmänteln, und als sie uns zur Begrüßung einen Kuss gaben, sagten sie, es gehe ihnen gut, aber sie seien sehr müde.
    Das war vor mehr als einem Jahr gewesen, während einer dieser ruhigen Phasen, in denen man von den Freischärlern nicht viel bemerkte. So gut hatte ich dieses Geheimnis gehütet, dass ich es vergessen hatte, vielleicht, weil sich zu Hause mit verschlossenen Fensterläden zu verbarrikadieren nicht viel bedeutete im Vergleich mit den Schießereien, die mir das Abendessen verleideten, und den Schreien, die mich oft, zu oft, aus dem Schlaf geschreckt hatten. Die Revolverhelden in den Western, die sich in den Schlafzimmern der Mädchen versteckten, während sie im Saloon Can-Can tanzten, waren nicht feige, sondern schlau und viel besser als die Kerle, die andere in den Rücken schossen. Doch

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