Der Feind meines Vaters - Roman
war, der bereits 1939 mit ihm in die Berge gegangen war. An dieser Stelle unterbrach ich Paquito.
»Das ist eine Lüge«, sagte ich.
»Eine Lüge?«, erwiderte er genauso pikiert. »Dann frag mal deinen Vater.«
»Das mit den Banditen und der Schießerei nehme ich dir ab, aber nicht das mit dem Portugiesen. Dass er keine Waffe tragen wollte und plötzlich pinkeln musste und dass er ein …«
»Es stimmt aber.«
»Das kann nicht sein. Ich kenne ihn besser als du, damit du das weißt, und er ist kein Feigling.«
»Ist er wohl.«
Ich wollte gerade zuschlagen, um ihm meine Meinung zu sagen, als mich ein rätselhaftes Gefühl der Vorsicht bremste.
»Na ja. Wahrscheinlich hast du recht, und er ist tatsächlich einer. Ich dachte nur, weil er in der Mühle immer mit einem Jagdgewehr herumläuft …«
»Auf Hasen zu schießen ist was anderes als gegen Banditen zu kämpfen, oder?«
»Ja«, räumte ich ein und war in Gedanken ganz woanders. »Klar.«
In Wahrheit hatte es mir ganz und gar nicht gefallen, dass sich der Portugiese wie eine Petze verhalten hatte, auch wenn der Leutnant ihm für seine Mitarbeit gedankt und als vorbildlichen Dorfbewohner gelobt hatte. Pepe war ein einsamer Mensch, der sein Leben lebte und sich nicht in das der anderen einmischte. Ich hatte Mühe zu glauben, dass er wirklich zwei Männer in den Felsen gesehen hatte und in die Kaserne geeilt war, um sie anzuzeigen, statt einfach seines Weges zu gehen. So war er nicht und noch viel weniger so, wie ihn Paquito spöttisch beschrieben hatte. Der Portugiese war mein Freund, und ich hatte selbst gesehen, wie er an dem Grillnachmittag mit dem Hauptmann und einige Tage vor der Schießerei mit Sanchís gesprochen hatte, ohne nervös zu werden, in Schweiß auszubrechen, zu stottern oder mit hochgezogenen Schultern zu wimmern wie die Feiglinge in meinem Dorf. Doch das war nur ein Teil des Rätsels. Viel komplizierter zu verstehen war die Anwesenheit des Schützen, der für Sotero Comerrelojes’ Tod und den seines Cousins Fermín Pilatos verantwortlich war, die zwischen die Fronten geraten waren, denn die Schüsse auf die Patrouille mussten zwangsläufig von woandersher gekommen sein. Vater und seine Kollegen wollten nicht wahrhaben, dass man ihnen eine Falle gestellt hatte, doch schon anderthalb Tage später mussten sie sich genau das eingestehen.
»Ihr verdammten Hurensöhne!« Vater war noch nicht nach Hause gekommen. Wir streckten die Köpfe zur Tür hinaus und sahen, wie der Feldwebel außer sich vor Wut mitten im Hof stand und wie verrückt herumbrüllte. »Ihr verdammten Hurensöhne. Ich werd es euch zeigen! Ich blase euch allen das Hirn aus dem Kopf, einem nach dem anderen …«
Dann schoss er in die Luft. Drei Mal. Als er die Waffe wieder senkte, nahm Izquierdo sie ihm ab, und mein Vater sagte ihm, er solle nach Hause gehen und sich beruhigen, man könne es nun nicht mehr ändern. Dann kam er nach Hause.
»So, Mercedes, du kannst die Kinder wieder zum Spielen rauslassen, jetzt kann ihnen nichts mehr passieren. In Cuelloduros Bar singen sie bereits La vaca lechera , und die Witwen haben beschlossen, heute ausnahmsweise die Trauer aufzuheben.«
»Was …?«
Mutter verstand kein Wort und ich auch nicht, außer dass bei den Pesetillas, Chapines, Fingenegocios, Machillos und auch in anderen Häusern statt der üblichen schwarzen jetzt violette Kleider zum Trocknen hängen würden, die Farbe der Republik.
»Ihr habt doch Sanchís gesehen, oder?«, fuhr mein Vater fort. »Nun, wir haben gerade erfahren, dass er gestern Nacht zwei Kumpel des Mannes erschossen hat, der Cencerro und Crispín verraten hat. Im Auftrag der Banditen, klar.«
»Comerrelojes?« Mutter, die die Identität eines von Sanchís’ Opfern kannte, machte große Augen, als Vater nickte. »Das kann doch nicht sein! Ich weiß noch, als wir hierherkamen … War er nicht mit Cencerro befreundet?«
»Ja, und nicht nur das. Es heißt, dass er, abgesehen von Hojarasquilla, den sie in Frailes mit runtergelassenen Hosen erschossen haben, weil er die großartige Idee hatte, ins Bordell zu gehen und von einer Hure verpfiffen wurde, der Älteste da oben gewesen sei.«
»Aber dann …«
»Aber dann … Tja, Mercedes. Wie soll ich dir das erklären, es ist ziemlich kompliziert.« Vater schenkte sich ein Glas Wein ein, setzte sich an den Tisch und sprach seelenruhig weiter, als gefiele ihm zwar nicht, was er erzählte, aber als hätte er auch nichts damit zu tun. »Der erste Verräter,
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