Der Feind meines Vaters - Roman
habe ihn gesehen, Mercedes.«
»Oder auch nicht. Kein anderer hat was gesehen.«
»Wenn ich es dir doch sage!«
»Weißt du was, Antonino …«
»Nein, Mercedes. Hör auf mich und rede mir nicht immer rein.«
»Bitte. Wie du meinst.«
Damals, Mitte August, hatte dieser Streit, der mit demselben Refrain wie immer endete, keine Bedeutung, denn ich war noch nicht einmal bis Seite fünfzig in einem Buch gekommen, das fast siebenhundert Seiten hatte, und außerdem erfuhr ich am selben Nachmittag, als ich auf die Straße ging, dass einem Verräter niemand nachweint. Der Tod von Comerrelojes und Pilatos wurde sofort zu einem Zwischenfall, der weder denen in den Bergen noch denen im Tal den Sommer vermiesen würde, nicht einmal Sanchís, der sich schnell von einer Wunde erholte, an der eigentlich nur sein Stolz geblutet hatte.
Zwei weniger, das sagten alle, und darin waren sich ausnahmsweise die Stammgäste in Cuelloduros Bar und die Bewohner der Kaserne einig. Zwei Verräter weniger, zwei Banditen weniger, und alle waren froh. Ausnahmsweise stimmte die Rechnung, ausnahmsweise kamen alle auf die gleiche Endsumme, und die Guardia Civil beklagte ebenso wenig wie ihre Feinde den Tod der zwei Männer, denen sie nicht einmal Cencerros Tod verdankten, denn schließlich hatten nicht sie mit dem Oberkommando in Jaén verhandelt. Comerrelojes war nur ein frustrierter Erpresser, ein ungeschickter Verräter gewesen, trotzdem war es nicht ausgeschlossen, dass er oder sein Cousin während eines Scharmützels oder einer Vergeltungsaktion jemanden getötet hatte. Und selbst wenn sie nie im Leben einen Schuss abgegeben hatten, wäre die Welt nun ohne zwei Männer, die es fertiggebracht hatten, mit jemandem gemeinsame Sache zu machen, der seinen besten Freund für Geld verraten hatte, ein kleines bisschen besser.
»Oder etwa nicht?«, fragte ich den Portugiesen, als ich ihn auf der Straße traf.
»Kann sein, aber du weißt ja, was dein Vater und seine Kollegen sagen, ohne Geld gibt es auch keine Verräter …«
»Und ohne Verräter keine Toten, jaja, ich weiß.« Ich hatte das schon so oft gehört. »Trotzdem glaube ich, dass es in der Welt nichts Schmutzigeres gibt als Verrat.«
»Auch wenn man dadurch Cencerro geschnappt hat?«
»Auch dann.«
»Na ja.« Er lächelte, sah mich aufmerksam an, und lächelte noch breiter. »Das hast du gesagt.«
Er hatte einen Topf mit Honig dabei, und ich begleitete ihn zu Sanchís, der immer noch äußerst schlechte Laune hatte, die sich allerdings besserte, als er sah, wie sehr sich Pastora freute. Schließlich bezahlte er Pepe sogar mehr, als sie abgemacht hatten. Zur Feier des Tages lud er mich in der Kneipe auf dem Dorfplatz zu einer Limonade ein. Und während ich sah, wie er den einen und anderen grüßte, dachte ich, ein Glück, dass die in den Bergen ausgerechnet den besten Schützen in der Kaserne, Miguel Sanchís, hinters Licht geführt hatten, denn so würde niemand den Portugiesen verdächtigen. Ich hatte bereits erfahren, dass der Leutnant sich bei ihm bedankt und ihn gelobt hatte, trotzdem war er derjenige gewesen, der sie in die Falle gelockt hatte, und ich wusste nicht, was besser war: es zu wissen oder es nicht zu wissen, zu denken oder nicht zu denken. Sollte ich glauben, dass Pepe tatsächlich ein Feigling war, der die Buchstaben nur mühsam aneinanderreihte, oder musste ich mir allmählich Sorgen um ihn machen?
An jenem Nachmittag fasste ich keinen Entschluss, denn noch konnte ich es mir leisten. Obwohl ich sehr gern las, kam ich im Sommer nicht so schnell voran wie im Winter, weil ich im Fluss baden, angeln gehen, nachmittags mit meinen Freunden Fußball spielen und nach dem Abendessen mit Paquito im Hof sitzen musste, um das alberne, aber außergewöhnliche Abenteuer zu genießen, nachts draußen zu sein. Daher dauerte die Reise der Duncan fast genauso lange wie der Sommer, und als Robert und Mary Grant ihren Vater schließlich in die Arme schließen konnten, war es bereits Mitte September. Ich nahm traurig an ihrer Wiedervereinigung teil und fühlte mich wie ein Waisenkind, wie immer, wenn ich ein Buch beendete, das mir sehr gefallen hatte, vor allem, weil ich nicht wusste, woher ich ein ähnliches bekommen könnte. Curro las nur Westernromane, Mutter Liebesromane, und Vater las gar nicht. Don Eusebio verlieh die Bücher aus der Schulbibliothek höchstens an Ältere, damit wir anderen uns bei unseren Hausaufgaben nicht ablenken ließen, aber ich hatte immer gute Noten und
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