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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almudena Grandes
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gehörte nicht mehr zu den Kleinen. Wenn ich ihn darauf ansprach, würde er mir vielleicht erlauben, eines der Bücher von Jules Verne auszuleihen, die auf dem Umschlag aufgelistet waren, Die geheimnisvolle Insel, Von der Erde zum Mond, In achtzig Tagen um die Welt …
    Während ich mir noch den Umschlag der Geschichte ansah, in der ich so glücklich gewesen war, fiel mir auf, dass der hintere Buchdeckel etwas dicker war als der vordere, als steckte etwas darin. Ich schlug das Buch vorsichtig auf dem Bett auf und entdeckte, dass das weiße, inzwischen vergilbte Vorsatzpapier auf dem hinteren Deckel eine abstehende Ecke hatte. Ich hob sie mit der Fingerkuppe an, und als ich auf ein Stück Papier stieß, dachte ich an den Portugiesen. An das Gesicht, das er machen würde, wenn ich ihn einlud und ihm den 1000-Peseten-Schein zeigte, der ihm entgangen war und den ich gefunden hatte. Aber es war kein Geld, sondern ein weißer, in der Mitte gefalteter Zettel, auf dem vier mit Bleistift geschriebene Wörter standen, Sotero López Cuenca, Comerrelojes.
    Das Buch gehört doch gar nicht ihm, dachte ich, da schwitzte ich bereits und zugleich war mir kalt, obwohl es eine angenehme Sommernacht war. Das Buch gehörte nicht ihm, einer aus Torredonjimeno, mit dem er seine Olivenbäume gestutzt hatte, hatte es verloren, aber es konnte auch jemand anderem gehören, jedem, sogar einem Partisanen, der zufällig vorbeigekommen war. Ich schwitzte, und mir wurde immer kälter und gleichzeitig ganz heiß, als spielte mein Körper verrückt. Das Buch gehörte nicht Pepe, denn Pepe hatte keine Bücher zu Hause, aber er hatte welche gehabt, das wusste ich, ich hatte sie gesehen. Meine Hände schwitzten, meine Finger hinterließen feuchte Flecken auf dem roten Buchumschlag. Ich ließ das Buch los, aber der Zettel war immer noch da, aufgeschlagen auf dem Bett, mit dem Vornamen eines Verräters, seinen beiden Nachnamen und seinem Spitznamen, und ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Ich war nicht sicher, was es bedeutete, weil es nur ein mit Bleistift geschriebener Zettel war, aber ich wusste, dass es nicht gut war. Wenn ein Bewohner des Tals mit denen in den Bergen in Verbindung gebracht wurde, war das nie gut für ihn, auch wenn Namen nicht verletzen oder töten konnten, auch wenn es nur die Spur eines Bleistifts auf einem Stück Papier und nichts auf der Welt schmutziger oder verachtenswerter war als die Tat eines Verräters.
    Als ich mich daran erinnerte, wurde es mir klar. Ich holte tief Luft und zerriss den Zettel in acht Stücke. Mir war dabei gar nicht bewusst, dass ich so für eine Seite Partei ergriff. Ein Freund ist ein Freund, ein kostbares Gut, für das es sich lohnt, Risiken einzugehen, und ich würde kein einziges eingehen. Der Portugiese auch nicht, weil das Buch nicht ihm gehörte, es gehörte ihm nicht, nein, gehörte ihm nicht, und falls doch, würde niemand es erfahren. Damit wäre die Sache aus der Welt, sagte ich mit Mutters Worten. Dann klebte ich das vergilbte Papier mit etwas Spucke wieder auf den Buchdeckel und steckte mir Pepes Schuld tief in die Hosentasche, um sie am nächsten Tag, Stück für Stück, in acht verschiedenen Löchern zu vergraben. Immer wenn ich wieder eins losgeworden war, hatte ich keineswegs das Gefühl, etwas Schlechtes zu tun, denn es ist nicht schlecht, wenn man an Freunde glaubt und akzeptiert, dass sie feige Petzen und Analphabeten sind.
    So war die Welt, meine Welt, in der ich aufgewachsen war, neun Jahre gelebt hatte, ein Sumpf, in dem die Mutigen, die Aufrechten und Intelligenten all diese Eigenschaften vergessen mussten, wenn sie nicht jung sterben wollten, in dem die Behörden sich auf Verräter stützten und die Verräter sich bezahlen ließen, in dem die Helden wie die Tiere lebten, während die Feigen, die Petzen und Analphabeten unter dem Schutz der anständigen Menschen warme Mahlzeiten genossen und in ihren Betten schliefen. So war die Welt, zumindest für mich, der ich nicht das Glück hatte, die Dinge richtig zu sehen. So wie Paquito, der es lustig fand, wenn man auf Leichen tanzte, und schwor, dass Laureano auf der Flucht vor Angst geschrien hätte, und so fest davon überzeugt war, dass die Menschen, die in unserem Dorf getötet worden waren, dieses Ende verdient hätten, und sich nicht einmal fragte, ob sein Vater irgendetwas damit zu tun gehabt hatte. Ich hätte sein müssen wie er, hätte so denken und fühlen müssen wie er, aber ich konnte es nicht. Mir war nicht

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